Dienstag, 29. März 2011

Herbst

Der Herbst ist da. Und dafür gibt es gleich mehrere untrügliche Zeichen. Da wären zum einen die Temperaturen; der Himmel ist zwar nach wie vor blau und wolkenfrei und tagsüber rennen auch noch alle in kurzen Hosen und T-Shirt rum. Aber so bald es dunkel wird, kommt man um eine lange Hose nicht mehr drumrum und wenn mal halb Zehn durch ist hofft man sein Pulli oder Sweatshirt nicht zu Hause vergessen zu haben.
Und die Sommerferien sind vorbei. Selbst die Pokemons mussten, wahrscheinlich nur wiederwillig, ihre Phantasiekluft gegen die Schuluniform tauschen. Und die gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen, je nach Institution. Bei den Mädchen ist es auf jeden Fall ein Rock (Karomuster scheinen es den Direktoren schwer angetan zu haben) oder ein unifarbenes Kleid Pflicht. Schuhe und Kniestrümpfe sind auch einheitlich. Obenrum gehen die Variationen vom schlichten Polohemd bis hin zu weißem Hemd oder weißem Hemd mit Krawatte. Ähnlich verhält es sich bei den Jungs, ersetzt man das Kleid mit einem Anzug oder den Rock mit einer Stoffhose. Selbstverständlich ist an jeder geeigneten Stellen das Schulemblem eingestickt.
Das krasseste Indiz, optisch wie olfactorisch, dass auch die Unis ihren Betrieb aufgenommen haben, stellen die Erstsemestler dar. Es ist wohl Tradition dass in der ersten Woche diese armen Schweine von den Älteren von oben bis unten mit Farbe beschmiert werden, in die man Fischöl oder irgend was anderes, bestialisch stinkendes gemischt hat, sollte dies nicht ausreichen hängt man ihnen auch noch einen Fischkopf um den Hals und man entledigt sie ihrer Schuhe. Und so stehen die in der Mittagssonne vor sich hindünstenden Kamaraden barfuß an den Strassenecken und flehen die Passanten nach einer Münze an, das sog. Schuhgeld. Nun gut, ich geh mal davon aus dass diese Tradition hinlänglich bekannt ist und so werden die Studenten nicht gerade ihre besten Klamotten anziehen und auch nur die Schuhe die sie schon immer mal loswerden wollten, so daß das eingesackte Geld nicht wirklich nur dem Erwerb neuer Schuhe dient, sondern auch in eine krachende Erstsemesterparty investiert wird.
Mit dem Herbst kam auch Obama. Und mit ihm ein mächtiges Verkehrschaos. Zwei Tage lang wurden die Nerven der Autofahrer und die Hupen ihrer Fahrzeuge arg strapaziert, den man hielt über Stunden hinweg Hauptverkehrswege für die präsidiale Kolonne frei. Aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich nicht nur eine Route. Der Höhepunkt der Lärmbelestigung wurde am Montag Abend erreicht. Es begann mit vereinzeltem Hupen, so nach dem Motto "ich drück mal drauf, vielleicht erreich ich ja was" und steigerte sich nach einer halben Stunde in ein ohrenbetäubendes Dauergehupe aus allen Querstraßen ("ich weis dass ich damit nichts erreiche, aber für den Bruchteil einer Sekunde verschafft es Linderung"). Verstärkt wurde das Ganze von einigen Krankenwägen, die natürlich auch nicht durch die verstopften Gassen weitergekommen sind. Es war so höllisch laut, das man keinen klaren Gedanken fassen konnte, also blieb uns nichts anderes übrig als auf die Terrasse rauszugehen und das Spektakel von oben zu betrachten. Als dann nach einer weiteren viertel Stunde ein Hubschrauber über der gesperrten Strecke auftauchte und die Carabineri auch keine Fußgänger passieren ließen, war klar dass es jetzt langsam los geht. Erst rauschten vereinzelte Polizeimotoräder durch, dann kamen Polizeiautos und dann kam erst mal lange nichts. Dann erst sauste der gesamte Tross aus den beiden Präsidialautos und einer unendlichen Reihe von Fahrzeugen mit Sicherheitskräften durch. Und da sich das Ganze so lange hinzog, hatte sich bei den Fußgängern auch schon ordentlich Frust angesammelt, dem sie dann mit gellenden Pfiffen in Richtung der vorbeifahrenden Autos Luft machten. Das Ganze hatte was von Formel 1 mit nur einer Runde: es ist laut, man sitzt ewig und wartet und dann ist das ganze RuckZuck vorbei. Mit dem Lärm wars leider dann doch nicht so schnell vorbei, denn bis sich der Megastau aufgelöst hatte, mussten noch einige Hupen sich die Seele aus dem Leib tröten.

Donnerstag, 24. März 2011

Valparaiso


Nun ist es also soweit. Meine erste Fahrt an den Ozean. Als ich am Freitag gegen halb acht am Busbahnhof ankomme, beglückwünsche ich mich dass ich mir die Tickets zwei Tage davor besorgt habe, denn es herrscht ein Megagedränge und vor jedem der zahlreichen Schalter ewig lange Schlangen. Und dies obwohl allein nach Valparaiso von 'meiner' Busgesellschaft alle 10 min. (!!) ein Gefährt die gut 150 km angeht und es gibt noch mindestens fünf Wettbewerber - dabei handelt es sich um den kleinsten der Terminals der Hauptstadt. Die Busse sind alles Fahrzeuge der neuesten Generation, die beiden Fahrer tragen weise Hemden und Krawatte, das Gepäck tauscht man beim Beifahrer gegen ein Zettel ein und drin ist alles blitzblank sauber, als würde er gerade aus dem Werk kommen; und dies allem bei einem unschlagbaren Preis von nicht mal 10 Euro für Hin- und Rückfahrt. Wir begeben uns auch sofort auf die Autobahn und nach gut einer viertel Stunde passieren wir die etwas höhere Hügelkette die die Valle Central beschützt und fahren durch die ins sanfte Abendlicht getauchte Valle Casablanca und ihre Weisweinrebenreihen. Valparaiso erreichen wir bei Dunkelheit. Während ich mir mein Rucksack schnappe, verstreut sich die Schar der Mitfahrer schnell und ich mache mich auf Richtung Hostal. Obwohl es früher Abend ist, latsche ich durch eine menschenleere Hauptstrasse, zwischen geschlossenen Geschäfte und Restaurants und sehe höchstens mal ein Polizei- oder Militärfahrzeug. Das einzige was zu der gespenstischen Szenerie noch gefehlt hat, wäre etwas aufgewehter Staub und so ein runder, vertrockneter Strauch der quer über die Strasse rollt, wie man ihn in jedem Western mindestens drei mal zu sehen bekommt. Dann dämmert es mir: Tsunamialarm. Valpo besteht zu 5% aus einem schmalen Küstenstreifen und der Rest liegt verstreut auf den 42 sich dahinter recht steil erhebenden Hügel. Dieser am Wasser liegende Teil wurde komplett evakuiert, auch die paar Hotels die da liegen. Na wie gut das mein Hostal den Hügel Bellavista hoch liegt. Auch an dessen Aufgangsstrasse stehen die Carabineri und Armee und lassen Auto und Mensch hoch, aber nicht wieder runter. Da ich tagsüber so gut wie nichts gegessen hatte, bin ich natürlich mit einem ordentlichen Hunger und Durst angekommen, also erkundige ich mich bei der netten Hostalbetreiberin wo ich noch was bekommen könnte. Sie bestätigt mir dass unten alles geschlossen sei und empfiehlt mir ein weiter oben liegendes Restaurant, das eine unglaubliche Sicht über die Bucht haben soll. Versuche eine Volontärin anzurufen, die bereits nachmittags einen geschäftlichen Termin hier hatte und mit der ich mich eigentlich zum Abendessen treffen wollte. Als ich sie nicht erreiche, gehe ich davon aus dass sie gar nicht erst nach Valpo gekommen ist wegen dem Alarm; klar, denn sie ist einen Kopf kleiner als ich, also hätte das Wasser sie zu erst erwischt. Also mache ich mich allein an den immer steiler werdenden Aufstieg, vorbei an weiteren Uniformierten und erreiche kräftig atmend den Platz auf dem sich die Statuen der Nobelpreisträger Neruda und Mistral befinden und auch noch weiterer nicht prämierter Kunstschaffenden. Drehe eine Ehrenrunde und gehe dann in das empfohlene Restaurant. Bekomme eine Tisch an der Ausenkante der Terrasse zugewiesen, auf der mich nur eine mannshohe Panzerglasscheibe vom Abgrund trennt und sich mir ein umwerfender Blick über ganz Valpo und die dazugehörende Meeresbucht bietet. Durch das Schienennetz der Strassenbeleuchtungslaternen bewegen sich die Behördenautos mit ihren blinkenden Blaulichter wie die Dinger in PacMan. Obwohl es ein recht feiner Laden ist (und wahrscheinlich auch nur weil nicht besonders viel los ist), erlauben sich drei der Kellner immer mal wieder den Spaß sich in Reihe aufzustellen und mit Blick aufs Meer zu rufen: "Viene la óla!" um dabei auch die entsprechenden Handbewegungen zu machen. Hier nimmt keiner die Tsunamiwarnung ernst. Alle Experten waren sich einig dass falls überhaupt was ankommt, dann wird es eine 5 cm hohe Welle sein, die zwar mehr Wassermenge mitbringt als üblich, aber völlig kraftlos sein wird. Was die Behörden treiben, ist rein um zu zeigen dass sie was tun und wegen dem schlechten Gewissen vom letzten Jahr, als nach dem heftigen Erdbeben im Februar in Concepcion die Armee die Leute die dabei waren in die Berge zu flüchten zurückgepfiffen hat, nach dem Motto, es gibt kein Tsunami, mit der Konsequenz dass anschließend durch die Wassermassen weit mehr Menschen gestorben sind als durch das Erdbeben selber. Bloß ein einziges mal wird es still im Restaurant und Gäste und Personal starren gemeinsam aufs Wasser was sich tut: als das in der Mitte der Bucht thronende Kriegsschiff unter anhaltendem Horngetute seine lässige Position von längs zu den Wellen in quer zu den Wellen ändert und auch ein paar Fähren einige Meter rausfahren. Hatte aber offensichtlich keine weitere Bedeutung und alle gingen wieder ihren Beschäftigungen nach: die Gäste kauten, tranken, schmatzten und schwatzten und die Kellner bedienten, machten Späßchen und schwatzten mit.
Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne und der ganze Tsunamispuk war vorbei. Bei Tageslicht konnte ich erst das Hostal erst so richtig bewundern. Der Name deutet das Aussehen an: Art Hostal Bellavista. Jeder der Treppen die hoch zum Eingang führen sind einzeln bemalt und seitlich davon bilden kleine Mosaiksteinchen meterlange Fabelwesen. Drinnen ist jedes der Zimmer einem anderen Künstler gewidmet und entsprechend angemalt. OK, für meinen Geschmack wurden fast ein bisschen zu grelle Farben ausgesucht und an der ein oder anderen Stelle könnte der Anstrich auch erneuert werden, aber die vier Meter hohen Zimmer, der Aufenthaltsraum in dessen Mitte sich eine riesige Ledercouchgarnitur  befindet und den Wänden an denen eine beachtliche Sammlung von Gegenstäden aus längst vergangener Zeit hängen, das ausgiebigen Frühstück und die humanen Preise gleichen dies alles mehr als aus. Frisch gestärkt mache ich mich an den Anstieg den ich ja schon vom Abend davor kenne, lasse den Platz mit den Statuen links liegen und erreiche so Nerudas Haus, denn natürlich hat sich der Meister den höchsten Punkt des Hügels Bellavista für sein Domizil ausgesucht. Die 4 Stockwerke hohe La Sebastiana liegt in einem nicht mal so kleinen, stufenweise angelegten Garten in dem Rosen blühen und diverse Bänke stehen, die aus einem Wettbewerb mit Bezug auf den Schriftsteller stammen. Der Vorteil hier ist dass man im Gegensatz zu Santiago, wo man in einem recht hohen Tempo im Ramen der Tour vorangetrieben wurde, allein rumrennt, sich somit so viel Zeit nehmen kann wie man möchte und doch alle Infos durch einen von netten Damen ausgehändigten Infophone mitbekommt. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Arbeitszimmer liegen übereinander und geben alle einen weitschweifenden Blick über die Stadt und das Wasser frei. Direkt neben dem Wohnzimmer darf auch hier nicht die obligatorische Bar fehlen, hinter der Neruda seine Gäste bewirtete und auch einen eigenen Cocktail kreierte: Champagner, Brandy, Cointreau und Orangensaft. Selbstverständlich sind in jedem Zimmer Erinnerungsstücke von seinen vielen Reisen zu finden oder von persönlichen Freunden. Nimmt man Nerudas Haus in La Isla Negra noch dazu, das nicht kleiner oder gar bescheidener sein soll und bedenkt man dass er noch ein Viertes bauen wollte, wozu es nicht mehr kam, dann wird einem klar dass auch er etwas gleicher war als die Gleichen und wohl nicht so ganz das gelebt hat was er in den 40ern als Mitglied der Kommunistischen Partei und später als Sozialist und Anhänger Allendes predigte.
Die Sonne brutzelt herrlich aufs Fell, also beschliese ich einen Großteils des Tages im Freihen zu verbringen, die unterschiedlichsten Hügel auf- und abzusteigen um so die Stadt zu erkunden und die Aussage aus Lonely Planet zu überprüfen die besagt: "Die UNESCO hat es bestätigt: Ganz Valparaiso ist eine Sehenswürdigkeit.". Und tatsächlich: was aus der Perspektive des nerudaschen Wohnzimmers wie ein Meer aus Farbkleksen von bunten Häusern ausgeschaut hat, stellt sich aus der Nähe als eine Sammlung von einzelnen Kunstwerken heraus. Die Mehrheit der Gebäude sind in ihrer Ganzheit mit Bildern bemalt oder besprüht. Manche mit realistischen Darstellungen, andere phantasievoll. Manche gelungen, andere weniger. Dazwischen immer wieder prachtvolle Kolonialvillen und Parks. Und an jeder Ecke ist entweder ein Schnapsladen oder ein Atelier das auch Kurse anpreist. An der ein oder anderen Stelle zeigt Valpo ihre morbide Seite: einst schöne Gebäude die einfach dem Verfall überlassen werden; und auch ihre unschöne Seite: unbebaute Hügelteile die richtig zugemüllt sind. Es sei erwähnt dass ich die ganzen Strecken bergauf/bergab immer zu Fuß zurückgelegt habe und kein einziges mal mit Hilfe eines der zahlreichen alterwürdigen, scheppernder, quitschenden Ascensores geschummelt habe - nicht dass ich kein Vertrauen in die Ingenieurskunst von vor 150 Jahren hätte. Entsprechend wird es auch Zeit den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, bevor ich einen der höchsten Hügel der Stadt in Angriff nehme. Dazu wähle ich das Cinzano aus, ein Traditionsladen der Stadt. Abends singen hier schon lang erloschene Stars und aus deren Glanzzeit, nein, aus der ihrer Eltern oder Großeltern, stammt auch das ganze Inventar, incl. der Barmännern. Am beeindruckendssten sind die Kühlschränke, wahre Monster der Kühltechnik. Sie scheinen elektrisch zu funktionieren, auch wenn ich den Eindruck habe hier wurden einst noch Eisblöcke händisch eingelegt. Kennt einer die Folge in der Al Bundy während eines heißen Sommers, nach langem Flehen seiner Familie bereit ist eine Klimaanlage zu kaufen? Da er knausrig ist, kauft er natürlich was altes, dafür aber billiges. Beim Auspacken zu Hause stellen sie fest das auf dem Ding in Schrankformat seitlich "Besitz von Erwin Rommel" eingeprägt ist. Nun, diese Kühlschränke stammen wohl aus dem selben Nachlass.
Bereits in der Mitte des Cerro Carcel bin ich schon auser Puste und die Autos im ersten Gang auch. Der Hügel heist so, weil sich darauf der Knast von Valpo befand. Als diesr aufgegeben wurde, haben sich sofort Künstler das Gelände geschnappt und dort ilegale Ausstellungen, Happenings etc veranstaltet. Anscheinends wurden sie verscheucht, denn alles ist abgesperrt und drinnen sind irgend welche Renovierungsarbeiten im Gang. Ob diese dazu dienen sollen das Gefängniss wieder in Betrieb zu nehmen oder was anderes bezwecken ist nicht festzustellen. Also dann, weiter aufwärts zur höchsten Stelle, der Plaza Bismarck. Von hier hat man einen der schönsten Panoramablicke über die ganze Szenerie, wenn mir nicht immer wieder Schweisperlen die Sicht verderben würden. Halb verhungert erreiche ich wieder Meeresspiegelniveau und gehe schnurstraks in einen Laden der in dem bereits erwähnten Reiseführer mit den Worten "fehlende Finesse wird durch die Größe der leckeren Fleischportionen ausgeglichen" beschrieben wird. Die Aussage stimmt nur zur Hälfte: das Stück aus dem toten Getier ist groß und fein und ich fühle mich auch gut bedient, ganz im Gegenteil, der aufmerksame Kellner hat mir auf Nachfrage nicht das Teuerste auf der Karte empfohlen, sondern dasjenige wo Preiß / Leistung stimmt.
Nach weiterem Rumlatschen durch die Strassen sind ich und meine Beine uns einig dass es für Heute gut is und nun etwas sitzen angesagt sei. Bevor es dazu kommt, werde ich an einen Tisch gewunken, von einem lustigen Gespann aus einem Holländer und einem Kanadier, die mich wohl Nachmittags im Cinzano gesehen haben. Sie hatten schon einige Bier und sind in richtiger Erzähllaune. Befreundet seit 18 Jahren, machen sie spätestens jeden zweiten Urlaub gemeinsam, ohne ihre Frauen. Ginge beim Kanadier auch nicht, denn er ist zum dritten mal geschieden. Der Holländer ist zum zweiten mal verheiratet, diesmal mit einer Amerikanerin. Der Kanadier scheint richtig Asche zu haben (Ich hatte Glück mit paar Geschäften), den er verbringt die Winter immer in Costa Rica. Da er europäischer Abstammung ist (Mutter Deutsche, Vater Tscheche) wechselt die Sprache in denen Themen wie Tsunami, Lybien, Frauen etc. beleuchtet werden regelmäsig zwischen Englisch, Spanisch und Deutsch. Zwischendurch wird auch noch ein Amerikaner an den Tisch rangeschrieen, den sie auch von irgendwo her kennen und der aussieht als könnte er Wyatt Erp spielen; tatsächlich war er auch 15 Jahre lang bei der Polizei. Die beiden verabschieden sich schwankend, aber nicht bevor sie dem blinden Straßenmusikanten, der mit Gitare und Mundharmonika dem Blues frönt, einen Stapel seiner selbsgebrannten CDs abkaufen und diese an mich und weitere Gäste großzügig verteilen.
Den Sonntag will ich dem unteren Teil der Stadt widmen, dem der am Wasser liegt. Als erstes finde ich mich auf der Plaza Sotomayor wieder, wo noch mal deutlich wird dass Valparaiso der Hauptsitz der chilenischen Marine ist: das größte und eindrucksvollste Gebäude ist das des Marinekommandos und in der Mitte des Platzes tront ein überdimensionales Denkmal der gefallenen Marinesoldaten; lebendige Exemplare davon flankieren es zu allen Seiten und trotzen stoisch der aufgekommenen Hitze. Von der sich lang hinziehenden Bucht bin ich enttäuscht, den wie ich finde hat es hier die Stadtverwaltung verpasst mehr daraus zu machen. Das Einzige was man sieht, ist ein vierspurige Schnellstrasse. Keine Bars, Clubs, Restaurants oder auch nur einfache Strandbuden von denen aus man mit einem kühlen Getränk in der Hand aufs Wasser starren kann. Bevor ich also noch mehr Abgase statt frischer Meeresluft einatmen muss, drehe ich dem Wasser den Rücken zu und besteige doch noch einen Hügel, mit dem Ziel den Palacio Baburizza zu besichtigen, in dem sich das Museo de Bellas Artes befindet. Allein das Gebäude hat den Aufstieg gelont (erwürdige Parkettböden, Bleiglasfenster, Stuck und in jedem Raum ein Kamin); die Sammlung ist als eher bescheiden zu bezeichnen. Da es schon später Nachmittag ist, geht es wieder den Hügel runter und in eines der im Reiseführer empfohlenen Meeresgetierrestaurants. Es ist gut was los, den Sonntags gehen ganze chilenische Familien gern und ausgiebig essen, aber ich ergattere noch ein Plätzchen. Die Bedienung legt mir den Meeresfrüchteteller ans Herzen und ich vertraue ihr. Ich werde nicht enttäuscht: was auf meinem Tisch landet ist etwas in Größe eines Pizzatellers und aus der Ferne sieht es auch so aus als würden darauf Pizzaecken liegen. Blos dass hier der "Teig" von grünem Salat gebildet wird und die Dreiecke die sonst aus Soße, Belag und Käse bestehen unterschiedlichste frische Meeresfrüchte sind. Das Ganze mit einem leichten Sauvignon Blanc runtergespühlt und es stellt sich ein zufriedenes Grinsen ein. Auf dem Platz vor dem Restaurant lasse ich mir für eine Viertelstunde noch die Sonnenstrahlen auf den verdauenden Ranzen scheinen und dann bin ich bereit im Hostal mein Rucksack abzuholen, zum Busbahnhof zu gehen und die Fahrt nach Santiago anzutreten. Dort angekommen erfahre ich dass wir am Montag eine neue Mitbewohnerin haben: eine brasilianische Stewardess.

Donnerstag, 3. März 2011

Santiaguinische Fortbewegungsmittel

Ich erzähl euch heute mal ein bisschen wie man hier von A nach B gelangen kann, wenn man mal keine Lust hat zu laufen. Vorab: sollte mich in Santiago ein gewaltsamer Tod ereilen, lasst nach dem Busfahrer fanden.
Wir brettern mit gut 80 durch paar Außenbezirke von Santiago. Hier sind die Busse nicht so modern wie die monströsen, ewig langen Dinger im Centrum, bei denen man den Eindruck hat bei einen Pull Truck Rennen zu sein wenn sie die Haltestelle verlassen. Nein, hier sind es Klapperkisten in denen alles vibriert und scheppert. Da es mächtig heiß ist, genügt die Kühlung (?) durch alle zur Seite geschobenen Fenster nicht, sondern wir heizen mit offenen Türen durch die Gegend. Auf selbigen kleben große Plakate mit der Aufschrift: "Zu Ihrer eigenen Sicherheit kann dieses Fahrzeug erst bei geschlossenen Türen losfahren!". Er muss aber auch so schnell fahren, schließlich kommt sein Kollege mit einem Zwillingsgefährt von hinten angeschossen und setzt auch schon auf der zweispurigen Straße zum überholen an. Na dann setze ich mal lieber zu einem Gebet an, während sich meine Hände an der Haltestange unbewusst noch ein bisschen fester krallen (ob die Finger überhaupt noch durchblutet werden?), denn wie aus dem Nichts kommt uns hinter der nächsten Kuppe ein Auto entgegen.
Die Busfahrer sind auch die Einzigen die die Ampeln so mehr als Lichtorgel zur Begleitung ihrer laut aufgedrehten Radios interpretieren. Da haben die Fußgänger schon längst Grün, da schießen noch mindestens drei Busse durch und sie haben immer noch Grüß, da fahren die Kamaraden schon längst los. Die PKW-Fahrer hingegen sind völlig südamerika-untypisch. Sie halten sich strengstens an die Ampelfarben; und jetzt kommts: sie halten an Zebrastreifen an!!! Beim ersten Mal hab ich mir gedacht der will mich verarschen und hab mich nicht getraut die Strasse vor seiner Nase zu überqueren. Also wenn ich da so an Mexico denke.... Ich glaube im Mexicanischen gibt es das Wort Zebrastreifen nicht (noch nicht mal für die armen namensgebenden Tiere) und die Ampeln sind nur Zierde oder haben bestenfalls Empfehlungswert. Hier hingegen sind sogar die Taxifahrer human und halten sich an die Verkehrsregeln. Die Taxen sind schwarz und haben ein gelbes Dach. Innen scheinen aber die Leut Gestaltungsfreiheit zu haben. Eines Tages haben wir eines angehalten um zu dem Steak-Laden der Stadt zu fahren, zum "Vacas Gordas" (Die dicken Kühe). Nur schwer konnten wir unser Gekicher unterdrücken, den der Kollege hatte den gesamten Innenraum, also insbesondere auch die Seitenwände und die Decke, im Kuhmuster designt. Gleiches hat das Restaurant mit der nicht gerade kurzen Außenwand und dem dazugehörenden Bürgersteig gemacht.

An diesem Sonntag habe ich das genießen der letzten Sonnenstrahlen etwas vorverlegt, um das Genießen der allerletzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse vorzunehmen. Schließlich muss ich mich ein bisschen ausruhen, den eine Freundin des Wohnungsbesitzers, eine Künstlerin aus New York, hat sich auf der Durchreise zu dem nächsten Ziel der Jagd nach Photos für ihre anstehende Ausstellung in der MoMa angekündigt und Nel will sie mir unbedingt vorstellen, um danach gemeinsam zum Abendessen zu gehen. Also richte ich den Liegestuhl schön Richtung Ost-West aus, fahre das Netbook hoch, stöpsle die Kopfhörer ein und öffne YouTube. Das Violinkonzert von Brahms scheint mir die adäquate Begleitmusik zu sein und ich entscheide mich für die Interpretation von Isaac Stern. Bevor ich meinen Astralkörper (wie astral, fragt ihr? die Sonne wiegt ja auch nicht gerade wenig!) auf das gekrümmte Mobiliar und meinen Kopf auf die dem Holzinstrument sanft entlockten Noten bette, will ich aber noch das Bad aufsuchen. Der ersten Schritt in die erleichternde Richtung ist noch nicht getätigt, da hör ich einen dumpfen, lauten Knall und einige Schreie. Das Lesen folgender Zeilen dauert länger als die Geschehnisse die ich beobachtet habe: ich beuge mich also über die Brüstung und sehe einen der Innenstadtbuse mit eingeschalteter Warnblinkanlage; dann sehe ich eine rumliegende Autotür und den dazugehörenden Renault ein paar Meter weiter, mit der linken Seite völlig zerbeult, das Heck, mit dem es gegen ein Werbeplakat gekracht ist, eingedrückt und die Rückbank und die Beifahrerseite in meterhohen Flammen. Der Fahrer sitzt zusammengesackt, ohnmächtig auf seinem Sitz. Zwei Passanten spurten hin. Die Tür klemmt. Sie ziehen ihn im letzten Moment durchs Fenster raus, dann steht auch schon das ganze Auto in Flammen. Zwei weitere sind mit Feuerlöscher da, wahrscheinlich aus dem Bus oder anderen Autos und halten voll drauf. Man hört auch schon die Sirenen der Feuerwehr, da scheint also ne Feuerwache in der Nähe zu sein. Sie setzen das Auto, oder das was davon übrig geblieben ist, (denn es ist völlig ausgebrannt, alle Scheiben sind geborsten etc) mächtig unter Wasser, um die letzten Kokelnester zu löschen und wahrscheinlich um zu kühlen, damit sich das noch vorhandene Benzin nicht an heißen Teilen entzünden kann. Der Mann bewegt sich wieder, man deutet ihm aber an liegen zu bleiben, bis der Krankenwagen da ist. Schneller als dieser ist nur ein Lokalreporter mit seinem Kameramann.

Die U-Bahn ist immer noch das beste, schnellste und günstigste Fortbewegungsmittel der Stadt. Und wohl auch das modernste. Der Zugang erfolgt elektronisch, mit der sog. Tarjeta Bip!. Die Tarjeta Bip! heißt Tarjeta Bip! weil wenn man die Tarjeta Bip! an die für die Tarjeta Bip! vorgesehen Stelle am Drehkreuz hält, dann ertönt, ihr werde es nicht erraten, ein Bip!. Ertönt hingegen statt dem zarten Bip! ein nervöses Bip!Bip!Bip!, dann weiss man es ist mal wieder Zeit die netten Damen in ihren Glaskasten aufzusuchen und etwas Geld auf die Tarjeta Bip! zu laden. Den "Nein-ich-zahle-in-der-Kantine-nicht-mit-dem-Ausweiss-den-dann-weiss-ich-ja-nicht-wie-viel-die-mir-wirklich-abbuchen" sei gesagt dass jedes Drehkreuz natürlich eine digitale Anzeige hat, die gleichzeitig mit dem Bip! aufleuchtet und anzeigt wie viel auf der Karte noch drauf ist und wie viel abgebucht wurde (denn es gibt vier Tarifstufen, je nach Tageszeit). Die U-Bahnen fahren in einem super schnellen Takt, so dass man auch hier den Eindruck hat da will der eine den anderen überholen. Und doch herrschen zu den Stoßzeiten japanische Verhältnisse. Drum gibt es an den Umsteigebahnhöfen auch neongelb uniformierte Herrschaften, die irgendwann nicht mehr den Zugang erlauben und wie zu besten Wies'n-Zeiten dem Kutscher durch Handzeichen andeuten dass alles ok ist. Um der Sache etwas besser Herr zu werden und die Leut von den Haltestellen wegzubekommen, sind manche Haltestellen einer Linie Rot, andere Grün und manchen Grün/Rot. Während besagten Stoßzeiten haben die Züge seitlich Lichter an die entweder Grün oder Rot leuchten und dann wird auch nur an diesen Haltestellen angehalten. Verstärkt wird die Gedrängeproblematik dadurch dass man hier das System "erst aussteigen, dann einsteigen" noch nicht kapiert hat. Liegt aber auch daran dass manche Helden sich einfach in die Tür stellen (nicht etwa seitlich, nein, quer), auch wenn sie erst in einer halben Stunde aussteigen müssen und sich von da auch nicht wegbewegen, so dass man sie richtig zur Seite schubsen muss, wenn man aussteigen will, was sich beliebig schwierig gestalten kann, wenn die von drausen bereits reindrängen. Na ja, solche Szenen durfte ich nur während der Sprachschulzeit miterleben; jetzt fahre ich ja zwischen den Stoßzeiten zur Arbeit und erst spät Abends zurück. So kann ich auch in Ruhe das Fernsehprogramm der Verkehrsbetriebe auf einem der zahlreichen Flachbildschirmen die an jedem U-Bahn-Gleis hängen genießen. Eine gute Mischung aus Nachrichten, Sport, Musik und zum Glück nur wenig Werbung. Es kann einem aber auch aufs Gemüt hauen, wenn man am frühen Morgen (also gegen Eins), auf nüchternen Magen, einem schmachtenden, sülzenden Ricky Martin über sich ergehen lassen muss. Und wenn man Pech hat, kommt auch noch eine U-Bahn der neuesten Generation, die innen auch Flachbildschirme hat, so dass einem der Schmalz weiterhin auf die Schultern tropft. Hingegen kann einem eine Hüfteschwingende Shakira oder J'Lo durchaus den Start in den Tag versüssen. Das Geld was man in die ganze Unterhaltungstechnik investierte, hat man bei der Belüftung der Haltestellen und der Wagons gespart. Es herrscht eine bullen Hitze. In den großen Haltestellen versucht man es mit einem Herrschaar von Ventilatoren in den Griff zu bekommen, die zusätzlich einen feinen Wassernebel versprühen - klappt aber nicht. Während der Fahrt hat man das Glück dass sich die Fenster der Wagons öffnen lassen; das erhöht den Geräuschpegel erheblich und stört die Yuppies beim telefonieren, die da unten selbstverständlich auch ihr Handy am Ohr kleben haben, falls es nicht schon angewachsen ist.

Eine Fahrt mit einem der wichtigsten Verkehrsmittel in Chile hab ich leider noch nicht unternommen: es ist der Weinzug. Ein Sonderzug der hier in Santiago losfährt, eine Tagesreise unternimmt, an verschiedenen Weingütern anhält und schön brav auf die Besucher während der Besichtigung und der Weinprobe wartet. Hoffentlich kommt es noch dazu.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Erster Weinbericht

Bevor ich aber damit beginne, muss ich noch folgendes sagen: ich hätte die ersten paar Zeilen meines letzten Posts nicht schreiben sollen. Offensichtlich habe ich damit den Zorn von La Nina (stellt euch über dem zweiten n eine Tilde vor) geweckt. Die war so am friedlich von Süden nach Norden daherströmen, immer schön entlang der chilenischen Küste, jedoch in sicherer Entfernung. Und dann regte sie sich auf: "Wie, du behauptest, ich könnte es in Santiago im Sommer nicht regnen lassen?!" So kam es dass am Abend des letzten Mittwochs tiefdunkle Wolken über der Stadt hingen und das volle Program, mit Gebrummel und Blitzen boten. Gut, das waren erst mal Drohgebärden, den weiter passierte nichts und sie zogen weiter. Aber am nächsten Morgen waren deren kleinen Brüder da: weit weniger bedrohlich, leichtes Grau, dafür um so inkontinenter. Erstmal ist es positiv, den der Regen reinigte die Luft. Was aber schlimm war: die Tante hat Polarluft mitgeschickt, die sie sonst immer brav vorbeigeschläust hat. So kam es dass ich zum ersten Mal seit ich hier bin, tagsüber lange Hosen angezogen habe; vorher wäre es temperaturtechnisch auch Abends nicht nötig gewesen. Die Eingeborenen haben mir versichert dass dies für einen Sommer völlig unüblich sei und sie sollten Recht behalten, denn nach zwei Tagen war der Spuck vorbei. Die alten Temperaturen und der altbekannte blaue Himmel waren wieder da. Aber bitte Senora La Nina, nicht missverstehen. Ich habe es eingesehen und nach dem elften April dürfen Sie sowieso walten wie Sie es gern hätten.

Der erste Besuch eines Weingutes war bereits während eines sonnigen Nachmittages zur Zeit des Spanischkurses, von der Sprachschule organisiert. Ein Bus wartete auf die Teilnahmewilligen und karrte uns ca. dreisig Kilometer vor die Toren der Stadt zum Weingut Undurraga. Von Außen könnte der gemauerte Zaun eine Auffrischung des Anstriches vertragen und das eine mannshohe R im Logo hängt schief, in nur noch einer Verankerung. Kaum hat man das Tor passiert, verändert sich der Eindruck schlagartig. Das Weiss in dem die ehemaligen Herrenhäuser gestrichen sind blendet einem; sie erinnern mich an die Häuser der Gutsbesitzer in der argentinischen Pampa. Eines davon wird heutzugabe als Ausstellungs-, Verkaufs- und VIP-Probierraum genutzt. In dem anderen befinden sich die Gärstahltanks und der Eingang zum Keller. Der Rasen könnte im Wembley-Stadion auch nicht grüner und gepflegter sein. Im Mitten des kleinen aber feinen Hausparks befindet sich ein See aus dem eine Fontäne in den Himmel schießt. Zwischen den Bäumen sieht man immer mal wieder Skulpturen der Mapuche, der Ureinwohner im Süden des jetzigen Chile. Sie wurden im Übrigen nie von den Spaniern besiegt und untergejocht, sondern ihr Land ist Ende des neunzehnten Jahrhunderts einfach vom Staate Chile annektiert worden, in einer Gemeinschaftsaktion mit Argentinien, die im Süden ihres Landes das Gleiche taten. Wir latschen entlang der Weingärtenreihen und erfahren von unserem lustigen Guide etwas über den Anbau: hier im durch die Berge gut geschützen Valle Central, genau genommen liegt das Gut im Valle del Maipo, werden die Rotweinsorten angebaut. Alle größeren Weingüter haben deswegen auch Land in Küstennähe, wo die Meeresluftströmungen die Weisweinsorten schmeicheln. Neben dem einen Haus steht ein Kranmonster und tauscht einen der arg zerbeulten, mindestens zehn Meter hohen Ausenstahltanks aus, der während des schweren Erdbebens im Februar letzten Jahres einfach mal geborsten ist. Der ganze Hof stand Knöchelhoch unter Wein. Man hatte Sorge dass, neben dem ärgerlichen Verlust, die Säure des Weines den feinen englischen Rasen zerstören würde. Dies ist nicht eingetreten, dafür hätten aber angeblich die Feldhasen vor Freude Tango getanzt. Nach der Besichtigung der Halle mit den Stahltanks und des mit Bariquefässer gespickten Kellers geht es an die Probe. Als erstes einen gut gekühlten Chardonnay - lecker, danach einen Carmenére - leckerer, dann einen Cabernet Sauvignon - fein bariquiert, aber noch zu jung, weil frisch abgefüllt; muss noch ein bischen schlafen. Um einen der Sätze zu bringen, den es auf jeder Ungarnweinverkostungsreise nicht nur einmal zu hören gibt: "Der kommt noch!". Und zum Abschluss einen Dessertwein. Hier wird die englische Bezeichnung Late Harvest benutzt, aber vom Zuckergehalt macht er den Eindruck als würde er über dem deutschen Eiswein liegen. Weil ja die Chilenen auf süss stehen, wie bereits erwähnt, ist er hier nicht in einer Halbliter- oder gar 0,2 Flasche abgefüllt, sondern in einer ganz Normalen. Dadurch wird beim Einschenken auch nicht gegeizt. Meine Zunge klebt sich mal einfach an den Gaumen fest. Es bleibt mir nichts anderes übrig als zur ultimativen, für Notfälle gedachten Waffe zu greifen: Wasser. Um aus der Schockstarre wieder aufzuwachen, reanimiert mich der gütige Guide mit einem weiteren Glas Carmenére. Die hübschen Gläser, mit dem eingravierten Namen und Logo dürfen wir behalten, auch wenn ich Zweifel habe dass meines heile in Deutschland ankommen wird.

Sonntags um die Mittagszeit. Zu zweit machen wir uns auf den Weg zu einem weiteren Weingut in Stadtnähe, Concha y Toro, dem größten Weingut Chiles und eines der zehn größten Weltweit. Nach einer dreiviertelstunde U-Bahn Fahrt und weiteren 15 min im Taxi sind wir da. Die zwei Security-Jungs am Tor zeigen uns wo das Kartenhäuschen ist, wir drücken elf Euro ab und dürfen rein. Hier ist alles um einiges Größer. Bis zum Beginn der Tour sind es noch zwanzig Minuten, also vertreiben wir uns die Zeit im Verkaufsraum der Größe eines Fussballfeldes. Neben allen Weinsorten und Ausbaustufen, beginnend bei 5 Euro bis nach oben offen, gibt es auch nichts was es nicht gibt mit dem Emblem des Gutes bedruckt, bestickt oder eingebrannt. Zu Beginn gibt es erstmal einen Film zu sehen, dann geht es in den Park mit dem ehemaligen Sommerhaus der Familie, das mitlerweile in Büroräumen unterteilt ist. Nein, das Gut ist nicht mehr in Familienbesitz und die Familie die die Aktienmehrheit inne hat, hat auch keine Töchter. Das Haus ist riesig, der Teich ist noch riesiger und der Park ist am riesigstens. Die Familienkapelle der Größe einer Kirche, hat man netterweise ans Dorf abgetreten und sie befindet sich auserhalb der Umzäunung. Dann geht es in die Weingärten. In jeder einzelnen Spalier ist zusammen mit dem untersten Draht ein Bewässerungsschlauch gezogen oder es gibt einen kleinen Bewässerungskanal. Angeblich wird hier auf Maschineneinsatz gänzlich verzichet und alles ist reine Handarbeit. Im Schatten eines kleineren Häuschens gibt es das erste Glas Wein, einen Sauvignon Blanc. Das einzige was ihn auszeichnet ist seine Kühle, denn ansonst ist er arg dünn auf der Brust. Von den reinen Produktionsräumen (Presse, Gärtanks, Abfülllinie etc.) bekommen wir nichts zu sehen, sondern nur die Lagerungsräume der Bariquefässer. Die haben so viel Wein, dass die erste Etage überirdisch ist, mit Klimaanlagen gekühlt und mit dünnem Wassernebel besprüht wird. Hier werden die niederqualitativeren Weine aufbewahrt und so sind die Fässer auch in vier Reihen gestapelt. Unten im Keller ist alles naturbelassen und die Fässer der hoch- und höchstqualitativen Weine werden auch nicht gestapelt, da sie einer ständigen Qualitätskontrolle unterliegen. Hier ruht auch der teuerste Wein, der in einer CoProduktion mit Baron de Rotschild entstanden ist. Der Keller trägt den Namen Casillero del Diablo, da der Legende nach der Gründer, Don Melchior, die besten Weine des Jahrgangs und auch mehrerer Jahrgänge länger lagern wollte und feststellen musste dass es immer weniger wird, weil sich die Dorfbewohner wohl dran vergreifen. Und so streute er das Gerückt, dass hier unten der Teufel persönlich wohne, was die abergläubischen Weinliebhaber offensichtich fernhielt. Na dann kann ja der Durst nicht besonders groß gewesen sein. Zu guter Letzt gibt es den zweiten Wein der Probe, natürlich nach dem Gründer benannt, einen Syrah. Sau lecker. Auch hier dürfen wir die Gläser mitnehmen, man sieht aber auf den ersten Blick dass sie von niedrigerer Qualität sind und man hat sich auch nicht die Mühe gemacht das Logo einzugravieren, sondern nur den Namen. Egal, es ist ein herrlicher Sommernachmittag. Wir wollen es noch bischen geniesen, nicht den Lärm der Großstadt zu hören und setzten uns in den toll hergerichteten Hof. Die Preise der Karte sind echt pasabel für dieses Ambiente, so dass man sich ruhig für eine Viererprobe entschliesen kann. Die Details erspar ich euch, nur so viel: der Merlot war echt der Hammer und das Cuvee aus Cabernet Sauvignon und Syrah auch. Wer Lust hat kann mal auf die Homepage schauen, da bekommt man einen recht guten Eindruck von dem ganzen Protz:
www.conchaytoro.com

Freitag, 11. Februar 2011

Wochenendimpresionen Reloaded

Ich glaub es nicht. Da gehe ich seelenruhig die Straße entlang und auf ein mal spür ich doch tatsächlich ein Wassertropfen auf meinem Arm. Das wird doch nicht anfangen zu tröpfeln? Zum ersten Mal nach mehr als vier Wochen? Ah, ne. War nur eine Klimaanlage die tropft. Wäre ja auch etwas verwunderlich, wenn es bei diesem strahlend blauen Himmel anfangen würde zu Regnen.

La Chascona. Pablo Nerudas Stadthaus. Eigentlich sind es drei voneinander unabhängige Gebäude, die sich an einem kleinen Hang verteilen und untereinander durch schmale, gar nicht mal so unsteile Treppen verbunden sind. Anfangs gab es nur eines der Gebäude, da er es als geheimes Liebesnest für seine Geliebte Matilde Urrutia bauen lies. Nach seiner Scheidung ist er dort eingezogen und so wurde das Anwesen erweitert. Neruda liebte das Meer über alles und so ist die Architektur auch an das kühle Nass angelehnt. Die Decken sind niedrig (obwohl er ein recht großer Mann war) und abgerundet, so dass man das Gefühl hat im Bauch eines Schiffes zu sein; eines der Gebäude sieht aus wie ein Leuchtturm und bot zur damaligen Zeit einen herrlichen Blick über die Stadt bis hin zu den Anden - heutzutage stellen sich stoisch ein paar Wolkenkratzer in den Weg. Und natürlich besitzt jedes der drei Bauten, obwohl sie nicht besonders groß sind, eine eigene Bar. Alles ist vollgestopft mit Andenken (Nobelpreis, Mitbringsel von verschiedensten Reisen rund um den Globus), Kunstwerke (z.B. das Bild von Diego Riviera zeigt Matilde = die Ungekämmte = La Chascona mit zwei Gesichtern und in dem roten, wallenden Haar erkennt man andeutungsweise Nerudas Umrisse) und Photos mit Freunden (z.B. Picasso). An einer Außenwand ist eine Dankesgedenktafel der tschechischen Regierung angebracht, da man lange Zeit annahm dass der Dichter sich den Künstlername Neruda gab (um der Züchtigung des Vaters zu entkommen, der es natürlich nicht lustig gefunden hätte dass der Bub einem so unehrbaren Beruf wie Künstler nachgeht), in Anlehnung an den tschechischen Dichter Jan Neruda, dessen patriotische Gedichte er sehr schätzte. Heute ist man sich sicher dass er die Partitur der Spanischen Tänze von Pablo de Sarasate gesehen hatte, mit der Widmung an die Violonistin Wilma Norma-Neruda. Na was für ein Glück dass sie auch Tschechin war!! Im übrigen, der Grund warum es die Bächlein nicht mehr gibt, ist weil Neruda wenige Tage nach dem Putsch von 73 gestorben ist, an seinem Krebsleiden - nicht wenige sagen an gebrochenem Herzen - und da er ein Freund Allendes war, hat das Militär das Haus verwüstet. Durch die Berühmtheit des Poeten sind viele ausländische Kamerateams ins Land gestürmt und so war das Verbieten einer öffentlichen Trauerfeierlichkeit unmöglich geworden. Und so wurde der Sarg zwischen zwei Reihen von Soldaten durch Santiago getragen, während ein Vorrufer ohne Unterbrechung "Camarada Pablo Neruda!" rief und die Menge mit "Presente!" antwortete und nach jedem dritten mal mit "Presente, ahora y siempre!". Abwechselnd wurden auch die Namen von Allende und Jara gerufen. Es sollte für lange Zeit die letzte demokratischen Kundgebung bleiben.
Matilde lies später das Haus wieder herrichten und hat dort bis zu ihrem Tode gelebt.

Heute habe ich Lust auf ein ordentliches Stück Fleisch. Und Hunger hab ich auch. Nein, kleines Spässchen, natürlich spreche ich von Steaks. Auf Empfehlung gehen wir in einen Laden in Bellavista, der auf den ersten Eindruck recht nobel, sprich teuer, aussieht: schwere, weiße Tischdecken, blankpolierte Gläser für die verschiedenen Getränke, Kellner in weiss und schwarz. Die Preise auf der Karte sprechen da zum Glück was anderes. Ein eineindeutiger Indiz dafür ist immer der Preis des Pisco Sour, dem Nationalaperitiv schlechthin und der kostet hier nur die Hälfte im Vergleich zu sonstigen Läden, die einem dann nur unterdurchschnittliches Mittelmaß servieren. Die Preise der Steaks sind auch erfreulich. Größe und Geschmack ebenfalls. Das Schmatzen und die zufriedenen Gesichter meiner Tischnachbarn bestätigen dies. Da auch der Wein nicht enttäuscht, kann man von einer guten Empfehlung sprechen. Wir rollen uns in eine der unzähligen Bars hier in Bellavista um auf einen Deutschen zu warten, den man aus der Sprachschule kennt. Er erscheint auch, hat die Tochter seiner Vermieterin dabei und diese noch eine Horde Freundinen im Schlepptau. Sind alle anfang Zwanzig, dafür nicht besonder hübsch. Bestimmte Körperpartien entschädigen. Z.B. die Augen und die sicherlich makellose Seele. Zu später Stunde landen wir in einem Karaoke-Laden und lassen uns von südamerikanischen, zum Kitsch tendierende Rhythmen berieseln. Den Mädels gefällts und sie wippen.

Museo der Arte Precolombino. Nett gemacht. Vor allem die Abdeckung aller precolumbusschen Völker aus ganz Lateinamerika beeindruckt. Da es sich aber hauptsächlich auf Gefässe beschränkt, ist es dann nach dem tausendstent Topf auch irgendwann mal gut. Drum ist es mir ein kleines Rätsel warum es der Lonely Planet als das beste Museum in Santiago anpreist. Was aus der Sammlung herussticht, sind ein paar Spachteln mit denen die Eingeborenen sich psychedelisches Zeug in den Schädel gepfiffen haben. Angeblich nur die Schamanen. Aber wer will heute noch wissen ob nicht z.B. auch die "Großer Bär"-Gang (quasi die Urahnen des Escobar-Kartells) davon Gebrauch gemacht hat, wenn nicht sogar regen Handel betrieb?

Sonntag. Später Nachmittag. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Fleißige Leser dieses Blogs wissen wo man sich da aufhält. Diesmal ist der Nebentisch frei, es erscheinen auch keine angedüdelte Chilenen, sondern zwei großgewachsene Australier. Meine Frage woher sie den sind ist rein rhetorisch, denn die rotblonden Harre, die kurzen Hosen mit Seitentaschen und die kaki Buschhemden mit Epauletten schreien es förmlich heraus. Sie arbeiten für eine Werbeproduktionsfirma und diese hat sich so weit von der Heimat herverlagert, weil es angeblich kein anderes Land gibt, in dem man zwischen relativ kurzen Entfernungen die trockenste Wüste der Erde, das fruchtbare Tal Valle Central, das satte Grün des Südens und die eisige Kälte des ganz-im-südens hat. Bzw. quergelesen, zwischen den schneebedeckten Spitzen der Anden und dem Meer keine 200km. Zum Schluss tauscht man freundlich Handynummern aus und verspricht sich mal auf ein Bier zu treffen.

Auch heute möchte ich mit einer Filmempfehlung enden: Der Postman (Il Postino), eine fiktive Geschichte um Neruda. Allein schon wegen der grandiose Leistung von Philippe Noiret, in einer seiner letzten Rollen (oder gar die Letzte?), würde es sich lohnen den Film anzuschauen.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Antonyme


Dienstag. 19:00. Nach dem ich mich etwas mehr über die Geschichte von Nuestra Casa informiert habe und mit dem ein oder anderen Bewohner plauderte, die nach und nach von ihren Arbeitsstellen eintrudeln, beginnen wir mit den Vorbereitungen der Essensaustragung. Der Koch rührt kräftig einen riesen Eintopf um, dessen Hauptingredienzien Linsen und Reis sind. Er war auch mal ein Bewohner, der es geschafft hat. Ein Freiwilliger aus dem Viertel und ich sind dabei einen 30 Liter Thermobehälter mit Tee vorzubereiten, während uns drei kleine Kätzchen zwischen den Füßen umhertappen. Da er Chilene ist und hier alles super süss ist, kippt er Unmengen von Zucker rein (selbst wenn man sich an einem der Kioske einen frisch gepressten Fruchtsaft gönnt, muss man mit dem "sin azucar, por favor" recht fix sein, sonst hat man ruck zuck drei große Esslöffel im Getränk; die Verhinderung dessen bringt einem Unverständnis äußernde Blicke ein - tsss, Touristen). Wie aus dem Nichts erscheint eine Familie, die ebenfalls in dem Viertel wohnt, mit ihrer ganzen Horde von Kindern, die frohen Mutes sind und willens mitzuhelfen. Die Kleinste ist gerade mal fünf und wie es sich später rausstellen sollte, eine der aktivsten. Als der Koch mal nicht aufpasst, weil er zum Telefon geht, wird schnell etwas Mehl in den Eintopf gekippt, zum Eindicken; und auch noch paar Gewürzwürfel, um dem Ganzen mehr Geschmack zu verleihen. Dann geht es auch schon los, jeder schnappt sich was: einen der zwei Hocker, den Behälter mit Geschirr, die Tüte mit Brot, das Teefäschen und zwei den Megaeintopf (unterwegs müssen sie ständig die Hände wechseln). Es geht fünf Blocks weiter, vor ein Krankenhaus. Die Stelle ist deswegen gewählt worden, weil sich im Winter viele um das Gebäude scharen, um etwas von der Wärme der Abluft abzubekommen. Schon aus der Ferne wird unsere kleine Prozession erblickt und sofort bildet sich eine Schlange. Es sind alle Altersgruppen vertreten: Alte mit desilusionierten Blicken, Junge mit verschwommen Blicken (weil zugedröhnt), ein Pärchen, ein Mann mit seiner alten Mutter, schweigsam Insichgekehrte, welche die einem offen anblicken und paar Worte wechseln wollen. Einer der Mithelfer will seine Schwester einem kleinen, kautzigen Mann für 20.000 Pesos (ca. 33 Euro) verkaufen. Der meint, er hätte schon lange nicht mehr so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Dann bietet ersterer einen Tausch an, gegen den Plastiksack in dem sich der ganze Hab und Gut des Mannes befindet. Er lehnt ab. Was mir im ersten Moment als etwas befremdlicher Scherz erscheint, stellt sich als normaler Umgang raus. Man kennt sich und flunkert. Das herzliche Lachen aller Beteiligten bestätigt dies. Die Helfer sind überrascht dass trotz Sommer heute so viele Leute da sind. Als erstes gehen Teller und Besteck aus. Nach dem dies schnell provisorisch abgespühlt ist, sind nach kurzer Zeit auch Eintopf und Tee aus. Ein paar Nachzügler bekommen leider nichts mehr ab. Alle bedanken sich und gehen ihres Weges, wahrscheinlich um eine Schlafstätte zu suchen.

Dienstag. Kurz nach 23:00. Ich komme zu Hause an. Auf der Terasse vergnügen sich ca. 50 Leute bei elektronischer Musik. Der Hausherr und sein Nachbar schmeißen eine Abschiedsparty, obwohl sie für nur zwei Wochen in Urlaub fliegen. Eine Bedienung reicht Sushi und kühle Getränke. Später gibt es Torte. Ich dusche und geselle mich dazu.

Donnerstag, 27. Januar 2011

La Moneda


Freitag Abend. Der neue Mitbewohner ist da. Ein Jüngling aus Hesse. Wie es Tradition im Hause ist, versammelt sich (fast) die ganze Mannschaft plus ein paar sich dazugesellende Chilenen und es wird zum gemeinsamen Abendessen gegangen. Die einzige Vorabinfo: Thailändisch. Als wir ankommen erscheint mir der die Lokalität umgebende Gusseisenzaun, der mit Hilfe von Bambusmatten ungeschickt versucht Blicke und Eindringlinge aufzuhalten, etwas schlicht. Das sich dahinter abzeichnende Dach würde eher einer Lagerhalle zu Ehren gereichen. Ich denke, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Man kommt nicht einfach so rein; man muss klingeln. Als sich dann nach ein paar Schritten der schwere, plüschige Vorhang des Eingangs lichtet, denke ich, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Ob da das eingesteckte Geld reicht? Ein von Oben bis Unten durchgestilter Laden. Teakholz, tropische Pflanzen, Kronleuchter und rumwuselnde, asiatisch uniformierte Bedienungen im Überfluss. Allein die Bar des Restaurantbereichs hat eine Höhe von über vier Meter und das wuchtige, dunkle, massive Holz will jeden Moment mit dem Erdrücken beginnen. Letztendlich halten sich die Preise in Grenzen. Im Vergleich zu einem solchen Laden in Europa. Die Größe der Portionen übertrifft in ihrer Bescheidenheit die Zurückhaltung der Preise. Na gut, man wollte ja eh nur ne Kleinigkeit essen.

Samstagmorgen. Im achten Stock ist keiner da. Nel hat wohl den Neuankömmling aus dem Bett gezerrt, ist auch Tradition und Chefsache, um mit ihm die erste Stadtbegehung zu machen: hier ist der nächste Supermarkt, hier der Markt, hier die Bank meines Vertrauens etc. Was man halt so zum überleben braucht. Ich hingegen will mir heute die La Moneda anschauen, den Präsidentenpalast (das chilenische Präsidialamt - um der korrekten Beamtensprache zu genügen), dessen Photo ja diesen Blog ziert. Der vollständige Name ist eigentlich Palacio de la Moneda und kommt daher weil er früher mal die Münzstätte des Landes war. Bilder davon sind international am 11 September 1973 bekannt geworden, mit den zwei Flugzeugen der chilenischen Luftwaffe, die den Palast bombardiern, aus niedriger Flughöhe beschießen, letztendlich die Nordfassade zerstören und Großteile des Palastes in Brand setzten (aqui). Es ist die Stelle wo der demokratisch gewählte Präsident Chiles, Salvador Allende, seine letzten Stunden verbrachte. Ein integrer Mann, den selbst die Russen fallen liesen, weil er eben nicht bereit war undemokratische Mittel, wie etwa Gewalt, gegen seine Wiedersacher einzusetzen, um auf diese Weise seine Macht zu sichern (seine Kritik am Einmarsch in Prag hatte man ihm sicherlich auch nicht vergessen). Und so signalisierten sie ihr stummes Einverständniss den ihm hintergrund agierenden Amerikaner. Die Worte des almächtigen Nixon-Beraters Kissinger lauteten: "Wir waren es nicht. Aber wir haben die bestmöglichen Bedingungen geschaffen."

Allende scheiterte nicht nur an übermächtigen Gegnern, sondern auch an der Tatsache dass sich Ideale nicht in die Realität umsetzen lassen. Von hier aus hielt er seine traurige, berührende letzte Ansprache, wissend dass in Kürze die letzte Radiostation zerstört sein wird und der endgültige Angriff auf den Palast erfolgt:
"Ich spreche diese Worte nicht mit Bitterkeit, sondern voller Enttäuschung. Eines Tages wird man über den Anstand jener urteilen, die ihren Eid brachen, den sie als Soldaten Chiles geschworen haben.... Sie haben die Macht und können uns in Ketten legen, doch sie können die sozialen Entwicklungen der Welt nicht anhalten, nicht mit Verbrechen und nicht mit Gewehren... Darum schreitet voran in dem Wissen, dass unsere großen Boulevards, eher früher als später, wieder offen sein werden.... Dies sind meine letzten Worte; ich bin mir sicher, dass aus diesem Opfer eine moralische Wahrheit ans Licht tritt, die Feigheit, Niedertracht und Verrat bestrafen wird."
Es sollte mehr als 17 Jahre dauern und zehntausende von Toten fordern, von denen Tausende gequält wurden und hunderte bis heute als verschwunden gelten. Und ein noch immer gespaltenes Land hinterlassen. In all dieser Zeit sagte man in Chile, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: zusammen mit Allende wurde die Demokratie zu Grabe getragen.
Heute steht Allendes Statue neben dem Palast, im Sockel ein Zitat aus gleicher Ansprache eingraviert: "Ich glaube an Chile."

Mir verwähren weißbehandschuhte Palastgardistenangetoastete Gesicht begutachten kann, den Zutritt. Gründe wüssten sie keine, aber im Januar wird der Palast nicht mehr für Besucher freigegeben. Der Monat dauert ja nicht mehr lange, dann werd ich es halt noch mal probieren.

Ich muss mir also ein leichter zugängliches Besuchsziel aussuchen und entscheide mit für die Kathedrale. Ich komme in den klassizistischen Bau rein und kann ihn mir in seiner ganzen Pracht, incl. Nebenkapellen anschauen. Als ich allerdings in die sich unter dem opulenten Altar befindliche Krypta hinabsteigen will, versperren mir hier stumme Wächter in Form von zwischen Stühlen gespannte Bänder den Weg. Ist wohl nicht mein (Besuchs)Tag. Da ich ein drittes Scheitern pro Tag nicht verkraften würde, komme ich meiner Pflicht als zeitältester (und bis vor zwei Tagen einziger) männliche Bewohner nach und schnappe mir den vom Jetlag und Nels Tour etwas erschöpften Neuankömmling, um ihm eine der möglichen Stellen zu zeigen, wo man die letzten Sonnenstrahlen des Tages geniesen kann. Zu spät merken wir dass der einzig noch freie Tisch sich neben einem befindet, an dem zwei bereits recht angeheiterte lokale Enddreisiger sitzen. Sofort werden wir als Übersetzer eingebunden, für deren Unterfangen, drei Amerikanerinnen am Tisch hinter uns in ein Restaurant einzuladen. Hab eigentlich keine große Lust dazu, aber man will ja die Bewohner des Gastgeberlandes nicht beleidigen, also starte ich einen halbherzigen Versuch. Gott waren die hässlich! Dagegen war ja schon die nicht ganz so alte Stewardes vom Herflug ne Schönheit. Ich war heil froh dass sie dankend ablehnten und sich auch bald aus dem Staub machten. Um den Kollegen am Nebentisch auch was vom Schock abzugeben, versuchte ich sie über den physischen Zustand ihrer potentiell-und-doch-bereits-verflossenen Restaurantbesucherinnen aufzuklären. Sie versicherten mir dass sie dann so betrunken auch wiederum nicht seien und durchaus leichte Ansätze erkannt haben, die nicht dem üblichen Schönheitsideal entsprächen, aber angeblich zählt für Chilenen nur eines: blondes Haar. Der Rest spielt keine Rolle. Meine Argumente dass dies nicht alles sein kann (und als einer der mit Alice Schwarzer bereits Hand-in-Hand in erster Reihe marschiert ist, habe ich natürlich die inneren Werte und deren Schönheit angesprochen) liesen sie aber völlig kalt. Da die Bedienung den Beiden keine weiteren Getränke kredenzen wollte, bis sie nicht ihre bisherige Zeche beglichen, ist einer von ihnen leicht schwankend Richtung des nächsten Geldautomaten gegangen. Jetzt war klar dass wir für den zeitweise Übriggebliebenen, nicht nur das Gesprächspartnervakuum der entflohenen Matronen, sondern auch das seines Kollegen auffüllen mussten. Er begann sofort mit der Aufzählung von Sehenswürdigkeiten. Dabei schien ihm eine Lokalität besonders am Herzen zu liegen und zwar eine Bar namens La Piojera , mit der Späzialität des Hauses "terremoto", einem Gemisch aus Wein und Speiseeis. Diese Kombination, nebst der Übersetzungen der Namen des Ladens = Lausehöhle und des Getränks = Erdbeben liesen meine Neugierde nicht zu sehr anwachsen. An dieser Stelle sei erwähnt dass in Chile Erdbewegungen erst ab einer Stärke von 7.0 auf der Richterskala als Erdbeben bezeichnet werden. Mitlerweile war der verschwundene Kollege wieder aufgetaucht und die beiden waren finanziell wieder online. Der anstrengende Weg zum Geldautomat und die auf der Haut schmeichelnden Sonnenstrahlen liesen ihn aber recht schnell hinter seiner Designersonnenbrille im Sitzen eindösen. Also berichtete uns als letztes wiederum der Andere wie er das Erdbeben Anfang letzten Jahres erlebt hat, wobei bei dem Eingeschlafenen das Gehör noch zu funktionieren schien, denn er erhob von Zeit zu Zeit den Zeigefinger und wiederholte eines der gerade gefallenen Worte: " hhmmm, si, terremoto..." Nel tat mir später Kund dass seine Meinung über La Piojera nicht all zu hoch sei und dass im terremoto neben dem Speiseeis nicht nur Wein drin ist, sondern alles was die Bar so hergibt (so eine Art Long Island Ice Tee mit Eis statt Eiswürfel??). Als ich ihn dann nochmals später mit meiner Entdeckung konfrontierte dass der Laden gleich vorne im Lonely Planet unter den 8 wichtigsten Muss-man-gesehen-haben aufgeführt ist, hat er zugegeben dass man schon mal hingehen kann, wenn nicht gar muss. Sollte mich also eines Tages der Weg ins La Piojera führen, werde ich wohl meinen ganzen Mut zusammennehmen müssen und halt einen terremoto probieren, aber nicht bevor ich mich versichert habe, dass noch genügend Imodium akut da ist.

Sonntagmorgen. Schock. Zum ersten mal seit meiner Ankunft hat sich eine kleine, weiße, plüschige Wolke auf dem ansonsten strahlend blauen Himmel verirrt. Würde ich es auf meinen alten Tagen noch schaffen einen Kopfstand zu machen, würde es aussehen wie ein Wattebäuschchen auf einem stillen, kristallklarem See, das nicht dabei nass wird. Zum einen bin ich froh, denn ich dachte schon hier gibt's im Sommer keine Wolken, dass die die alle einfangen und nach Europa exportieren. Zum anderen begebe ich mich nachdenklich unter die Dusche: sollte dies der Anfang vom Ende des guten Wetters sein? Nein. Bei meiner Rückkehr stoße ich mit dem Kopf wieder gegen den stählernen, blitzsauberen Himmel. Eingefangen. Exportiert.
Mache mich auf den Weg ins Museo de la Solidaridad Salvador Allende. Sonntags ist die Stadt wie ausgestorben. Über der gesamten Länge der Avenida Republica, die von schönen, alten Kolonialhäusern gesäumt wir, von denen die meisten wohl irgendwelchen Universitäten gehören, begegne ich keiner Menschen Seele. Im vorbeigehen verrät mir ein reingeworfener Blick dass selbst der McDonald's, der sich natürlich auch hier eins der prächtigen Gebäude geschnappt hat, leer ist, bis auf die zwei gelangweilten, halb dösenden Gestalten hinter der Theke. Obwohl sonntags die Museen keinen Eintritt kosten, sind ausser mir nur noch eine Mutter mit zwei Teenager-Töchter zu besuch und bei letzteren beiden kann man eigentlich nicht von anwesend sprechen, den mit den Gedanken scheinen sie in irgend einem Schwimmbad oder so zu sein. Eigentlich schade, denn nicht nur das stattliche, alte, schön renovierte Haus ist sehenswert (ironischerweise war es während der Diktatur als Abhörstation vom berüchtigten Geheimdienst genutzt worden), sondern natürlich die hier ausgestellten Werke. Bereits zu Allendes Lebzeiten, ab 1971, haben namhafte Künstler die Früchte ihrer Arbeit dem Museum gestiftet und sind heute noch Teil der Dauerausstellung: Picasso, Miró, Vasarely etc. Während der Pinochet-Zeit ist die Anzahl der Ausstellungsstücke im Ausland unter dem Namen Museum des Wiederstandes ständig gewachsen. Ergänzt wird sie heutzutage durch Wechselaustellungen zeitgenössischer Künstler. Diesmal gibt es einen valonischen Schwerpunkt.
Wie ein Mahnmal ist noch ein kleiner, abgedunkelter Raum vorhanden, in dem man ein paar persönlichen Gegenständen Allendes betrachten kann, während die Stimme des ex-Präsidenten aus einer Installation erklingt.

Da ja dieses Wochenende, und somit auch mein Bericht, eindeutig einen Schwerpunkt hatte, möchteschliessen, ohne für Interessierte eine Filmempfehlung auszusprechen. Und zwar handelt es sich um die Dokumentation "Salvador Allende" von Patricio Guzman, die graue Eminenz unter den chilenischen Dokumentarfilmer, aus dem Jahre 2004; er läuft in Deutschland immer mal wieder im Fernsehen und auch in manchen Programkinos.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Espananisch

Freunde, es gibt kein Entkommen mehr, heute müssen wir darüber reden: über die spanische Grammatik. Ich werde hier schließlich Tag ein, Tag aus damit konfrontiert, also sollt ihr auch was davon haben.

Es trug sich kurz nach dem Anno Domini 1492, als dem Kolumbus sein Christoph, ähnlich einer Frau beim Shoppen, die immer was anderes findet als sie eigentlich sucht und davon ein bisschen mehr, einen ganzen Kontinent (wieder)entdeckte. Da trat in Sevilla ein Komitee zusammen, bestehend aus royalen Vertreter, Kriegsherren, Kirchenleuten und Wissenschaftler, um zu überlegen wie man den Findling und seine Eingeborene unterwerfen kann. Klar, einmarschieren mit einer gut ausgestatteten Armee. Noch paar kernige Krankheiten dazugepackt. Und wenn selbst die Missionare versagen sollten, dann machen wir sie mit der Sprache fertig. So zu sagen die linguistische Atombombe jener Zeit und die Geburt der psychologischen Kriegsführung. Und damit die auch ja ordentlich Wirkung zeigt, hat man eine bis dahin einfache, gut geordnete Sprache kräftig aufgemöbelt und durchgemischt. Man begann klein und doppelte einige Worte: für das einfache Wort für por und para, für das Verb sein ser und estar etc. Und steigerte sich im Rausch der Chaos erzeugenden Glücksgefühlen bis hin zum irregularisieren (fast) aller Verben und dem Erfinden neuer Vergangenheitszeiten. Hatte den lustigen Nebeneffekt dass, man damit auch alle Völker mit germanischen Sprachen verwirren konnte.

Zur Verdeutlichung ein kleiner Auszug aus Langenscheidts Standardgrammatik Spanisch zum Thema Zeiten am Beispiel des Verbs sprechen:
Indefinido: hat keine deutsche Form; kann übersetzt werden mit ich habe gesprochen oder ich sprach.
Imperfecto: im Deutschen Imperfekt; kann übersetzt werden mit ich sprach oder ich habe gesprochen.
Perfecto: im Deutschen Perfekt; kann übersetzt werden mit ich habe gesprochen.
Ja was jetzt?

Klar zieht sich dies beim Preterito anterior (keine deutsche Form) und dem Pluscuamperfecto so weiter durch. Details zum Subjuntivo, der sich selbstverständlich auch vier Zeiten leistet, erspar ich euch; der einführende Satz im selben Buch lautet: seine Bedeutung und Anwendung ist vielfältiger und sehr verschieden vom deutschen Konjunktiv.
Habe ich bereits erwähnt dass, (fast) alle Verben irregulär sind. Also trockene Konjugationen auswendig lernen bringt nichts. Mehr chilenischen Rotwein trinken würde wohl auch nicht zum Erfolg führen, dürfte aber beim Thema Gleichgültigkeit helfen. Vielleicht mit der Spanischlehrerin was anfangen?
Die Sonne verfängt sich in ihrem langen, dunklen, lockigem Haar. Die noch viel dunkleren Augen sind wie zwei Türen zu ihrer Seele und durchdringen gleichzeitig die des Betrachters. Wenn sie lächelt, blitzen die Zähne auf dem Hintergrund ihrer gebräunten Haut auf. Die Bewegungen ihrer vollen Lippen erzeugen die Illusion heißer Versprechungen. Ihr kristallinklares Lachen überträgt die Wellenbewegungen ihres stattlichen Dekolletés auf die Phantasie des Auditoriums.
Ach wie gern würde ich euch dies schreiben. Vielleicht mit nicht so kitschigen Worten. Aber sie ist 150; und damit sind wir noch beim Alter und noch nicht beim Gewicht. Ihr "freundliches" Wesen und ihr "sonniges" Gemüt sind sicherlich nicht die Gründe warum sie die Sprachschule engagiert hat. Jedoch hätten ihr beides gewiss eine hohe Position in Pinochet's Junta garantiert. Selbstverständlich tun diese Eigenschaften ihrer fachlichen Kompetenz kein Abbruch und dem Lehr(n)erfolg erst recht nicht, denn zum einen sind die Schüler nicht abgelenkt und zum anderen ist pure, nackte Angst auch ein hervorragender Motivator.

Deswegen mach ich an dieser Stelle mal lieber Schluss und beginne schnellstens mit dem Repetieren unregelmäßiger Verben.

Montag, 17. Januar 2011

Wochenendimpresionen


Ich wache mit einem stolzen Gefühl auf. Die beiden Brasilianerinnen mit denen ich gestern in der Disco war, die eine ist mit mir im Sprachkurs, sind zusammen nur einige Jahre älter als ich. Trotz einigen trockenen Pisco Sour, lauten südamerikanischen Rhythmen und heißen Bewegungen der Beckenpartien aller anwesenden, bin ich brav und standhaft geblieben. Zu früher Morgenstunde habe ich mich mit einem zart gehauchten Kuss auf die Wange verabschiedet, wie hier üblich, und bin in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Ich Depp. Auf einmal wird das erhabene Gefühl durch Bedauern verwässert.

Mercado Central. Trotzdem zu 90% Fischmarkt. Wer hat gesagt dass, man am frühen Morgen (also so gegen halb zwei), nach einer durchzechten Nacht (die Chilenen können richtig was am Glas und man will sich ja nicht beim ersten größeren Event die Blöße geben), nicht eine ordentliche Fisch- und Meeresfrüchtesuppe essen kann. Die Eingeborenen lieben Zitronen und egal zu welchem Mal wird mindestens eine halbierte Frucht gereicht. Über besagte Fischsuppe geträufelt bringt es die Lebensgeister richtig auf Touren. Und der fette, faule, verlauste, verfilzte Kater der mir die ganze Zeit nachgeschlichen ist, ist auch auf einmal verschwunden.

Parque Forestal. Ein etwas ranziger, in die Jahre gekommener Kunststudent will mir unbedingt erzählen dass seit Pinochet's Zeiten die Gebühren arg gestiegen sind. Auch wenn ich ihm das mit dem Studenten nicht so richtig abkaufe, ist er zum Glück nicht hartnäckig und ich kann ihn abwimmeln. Eine Oma geht mir ihren beiden Enkel spazieren. Hinter ihrem Rücken bespucken sich die beide gegenseitig. Unaufgeregt, ohne Streit, immer schön abwechselnd, so eine Art Fightclub ohne Schläge, dafür mit Spucken. Die alte Dame geht ihres Weges und ignoriert es. Ein Maricon zieht zwei geschorene Pudel und eine kilometerweite Duftwolke hinter sich her. Im Fluss, der zu dieser Jahreszeit eher ein Bach ist, kühlt sich ein toter Hund ab. Die Schmeisfliegenschar freut's. Die sogenannten Pokemons rotten sich wieder zum Rudelknutschen zusammen. Angeblich erlaubt sich die Polizei manchmal den Spass und kommt mit einem Wasserwerfen vorbei, um die Gemüter abzukühlen. Bevor ich noch selber Opfer einer Teenie-Abschlabbzunge werde oder man mir eine staatlich subventionierte Dusche verpasst, hau ich doch mal lieber ab.

Museo Nacional de Bellas Artes. Ein sehr schönes, altes Gebäude. Am beeindruckendsten ist die temporäre Ausstellung mit Photos aus dem Viertel Victoria, mit dem sinnigen Namen "La Victoria es nuestra". Hier leben wohl nur Leute die zwischen dem Rande der Gesellschaft und dem Teil der darüber hinaus liegt fluktuieren und selbige ändern wollen. So ne Art Kommune im Stadtvierteformat. Die Portraits sind der Hammer. Auch wenn auf jedes Haus mindestens einmal Ché, Allende, Jarra etc. gesprüht sind, so macht der ein oder andere Kammarad doch einen recht(s) mafiosen-gang Eindruck.

Habe mir aus dem Museumsfoyer eine Kunstzeitschrift mitgenommen. In einem Artikel wird lang und breit über den Niedergang des Rock referiert und wie der Grounge, als Untergrundretter geboren, sich durchs Bekanntwerden und Komerzialisieren selbst verraten hat. Warum ohne jeglichen Zusammenhang zum Rest der Zeitschrift etwas berichtet wird, was mit dem Tod von Kurt Cobain aus jeder nur erdenklichen Richtung bereits beleuchtet ist und im Grunde genommen nur eine Aneinanderreihung von längst bekannten Tautologien darstellt, bleibt mir ein Rätsel. Aber zum Spanisch üben ist es gut.

Home, sweet home. Quatsche vor dem Schlafengehen noch ausgiebig bei einem Glas Rotwein (Carmeniere ist eine der beliebtesten Sorten hier) mit meiner Mitbewohnerin aus Österreich, die gerade von einer zweiwöchigen Reise in den Süden den Landes zurückgekommen ist. Hat ihr gut gefallen. In ihrem Bericht schwingt auch schon bischen Bedauern mit, weil in zwei Wochen ihr viermonatiger Chileaufenthalt endet.

Und wieder ist eine Nacht vorbei. Im unteren Wohn/Ess/Küche/Bar/Terrassenbereich herrscht geschäftiges Treiben. Ca. zwanzig Leute mit Kameras, Beleuchtungsmaterial etc stehen sich gegenseitig im Weg. Nel lässt einen Werbefilm über die Wohnung drehen. Verstehe nicht warum, da er ja gut ausgebucht ist. Na ja, wenn man in der Werbebranche arbeitet, hat man so seine Beziehungen und drum wird der Spass wohl nichts kosten. Mache mich mal lieber aus dem Staub.

Cierro San Cristobal. Der bereits erwähnte 800m hohe Haushügel. Todesmutig lasse ich die Seilbahn links liegen und beginne mit dem Aufstieg. Klappt ganz gut, den die Straße ist recht flach in die Wand gebaut. Um die Autos loszuwerden, schlage ich ein Wanderweg ein. Handle mir damit steile Passagen ein (die ganz schön in die Knie gehen) und runterrasende Mountainbiker. Also ob die bei der Geschwindigkeit die untere Haarnadelkurve schaffen?!? Die Schreie bleiben jedoch aus. Oben vermischen sich die Einheimischen bei ihrem Sonntagsausflug, zum Teil mit Grillzeug beladen, mit weisbesocktsandalten amerikanischen Touristen. Es gibt eine riesige Freiluftkirche, in der Pole-Paul (alter Nuhr Spruch) mitte der Achziger auch schon eine Messe gelesen hat. Stelle mich neben die 14m große Marienstatue und wir starren beide auf die Stadt und auf die in der Ferne liegenden Anden, mit zum Teil schneebedeckten Spitzen. Beschließe einen anderen Abstiegsweg einzuschlagen. Keine gute Idee, den ich komme am entgegengesetzten Fuß des Hügels an. Mein Stolz verweigert mir aber ne U-Bahn fahrt und ich latsche stoisch entlang des Baches. Belohne mich dann mit einem Bier im Patio Bellavista, einer Ansammlung von Cafés, Restaurants und Bars, die mir aber schon fast ein bischen zu perfekt und kalt durchgestilt erscheinen. Jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Hause. Muss mich duschen und Hausaufgaben machen.

Und warum ich bereit bin einen schönen Sonntagabend mit trockenen Spanischübungen zu begehe, dies erfahrt ihr nach einer kurzen Unterbrechung.

Dienstag, 11. Januar 2011

Flu(g)ch

Santiago. 30 Grad. Ich habe mir ein schattiges Plätzchen auf der riesigen Terrasse der Wohnung im 8 Stock gesucht, mit Blick auf den Cerro San Cristobál, den höchsten der santiaguinischen Haushügel, und auf die in der Ferne die stadtumsäumenden Anden. Nein Salma, danke, den nächsten Drink nehme ich erst nach dem ich diesen Post geschrieben und veröffentlicht habe. Na gut, aber nur so lange bis du mir die Sonnenmilch einmassiert hast.
Es ist jedoch nicht Neid den mein erster Eintrag aus Chile erzeugen soll, sondern Mitleid. Jawohl, Mitleid, den ich muss euch vom Flug berichten.
Begonnen hat es schon mal damit dass, Air France die Möglichkeit des online CheckIn bietet. Nach einer Beschreibung in fünf Schritten, wobei man in Schritt drei sich den Platz aussuchen kann. Blöd wenn es nur vier Schritte gibt, die Hotline keine Ahnung hat und das vielsagende Lächeln des Mannes vom Bodenpersonal andeutet dass dies noch nie funktioniert hat. Blöder ist es allerdings wenn besagte Fluggesellschaft Nürnberg keinen Zugriff auf das System bietet und man mir eine minutenlange Einweisung hällt wo es am Pariser Flughafen einen Transitschalter gibt - hat ja seinerzeit in Mexico Stadt schon gut funktioniert. Als in Nürnberg der Bus bereits zum Flieger losfahren wollte, bekam ich dann doch noch das Ticket durch den Türschlitz reingereicht, mit einem Platz so mittig dass es mittiger gar nicht mehr geht. Nach einer einstündigen Hetzjagd durch Charles de Gaulle, incl. Busfahrt außerhalb des Gebäudes, Zugfahrt innerhalb des selbigen und diversen Sicherheitskontrollen, wurde ich beim Boarden geschockt.
Unsere französischen Nachbarn behaupten doch immer von sich selber die schönsten Frauen der Welt zu haben. Wenn dies nur ansatzweise stimmt, dann muss die Fluggesellschaft ein verdammt hartes Auswahlverfahren entwickelt haben (mehrstufiges Assesmentcenter oder so), den so abgewrackte, hässliche Stewardessen habe ich schon lange nicht mehr gesehen und ich bin bereits Iberia und KLM auf Langstrecken geflogen. Die Chefstewardess, die war so alt, die hat bestimmt schon den Gebrüder Montgolfier die Getränke im Korb ihres Heisluftballons gereicht. Ja selbst beim Quotensteward waren die hochgegelten, blondierten Haarspitzen am ausbleichen und das eingemeiselte Lächeln am bröckeln.
Gut, die gleichen Nachbarn behaupten ja auch dass, die besten Köche der Welt Franzosen wären. Für das Catering der Fluggesellschaft arbeiten die gewiss nicht. Also hoffte ich das wenigstens der Cognac nach dem opulenten Mal einige Sterne hat. Es gab keinen. Schade. Vielleicht hätte dies das unaufhörliche Geschrei des Babys zwei Reihen hinter mir erträglicher gestaltet. Wobei man fairerweise sagen muss dass es nicht die ganze Zeit geplärt hat. Alle drei Stunden verwandelte es sich für ca. 10 Min in ein quitschiges Röcheln. Da capo. Also wenn man in der sargähnlichen Toilette gleichzeitig den Wasserhahn und die Klospühlung betätigte und es schaffte sich dabei so tief zu bücken dass, man gerade so nicht miteingesogen wurde, dann übertönte das sanfte Rauschen des Wasserfalls alle anderen Geräusche. Diesen Effekt mussten auch alle Nachbarreihen entdeckt haben; oder sie hatten einen nervösen Magen. Auf jeden Fall waren die Schlangen immer beträchtlich. Ich konnte mich eh nicht all zu oft anstellen, denn mein Gangsitznachbar, ein Koloss neben dem ich so dünn wirkte dass mich die Stewardessen schon anfüttern wollten, hatte einen langen und vor allem tiefen Schlaf, so dass ich eh nicht rauskam. Das Entertainmentgprogramm schaffte auch keine Abhilfe, den der Vogel war so alt (und ich spreche nicht mehr von der Stewardess), das die lautesten Töne die aus den Kopfhörer kamen eher mit Krächzen zu beschreiben sind. Als wir in heftigste Turbulenzen gerieten, hatte die Möglichkeit eines Absturzes all ihr Schrecken verloren, um nicht zu sagen sie erschien mir langsam als süße Alternative. Und als endlich der Boden des südamerikanischen Kontinents die Wogen des Ozeans ablösten, wollte ich nach einem Fallschirm fragen. Leider waren die Stewardessen schon lange nicht mehr gesehen worden. Entweder Altersschwäche oder sie haben die Fallschirme selbst genutzt.
All dies wurde aber von der samtigen Umarmung der sommerlichen Wärme, die einem gleich beim Ausstieg die Nerven massierte und von den ersten Eindrücken der neuen Umgebung bei der Fahrt in die Stadt wett gemacht.
Aber darüber habe ich ja noch oft Gelegenheit zu berichten. Von einem Langstreckenflug, Gott sei Dank, die nächsten drei Monate nicht.

SSSaaaaalllllllmmmmmaaaaaaaa...........

Dienstag, 4. Januar 2011

Prolog:

Erstmal ein herzliches „Prosit Neujahr!“ allen die bewusst oder unbewusst auf dieser Seite gelandet sind.
Denjenigen die sich durch Zufall reingeklickt haben und denken „Oh nein, nicht schon wieder so ein Blog von einem der für paar Monate in die Welt zog und meint seine Erlebnisse und Gedanken der ganzen Welt offenbaren zu müssen. Ich klick mal schnell weiter.“ : Richtig!!  Ihr zögert? Ah, ihr denkt, vielleicht wird es doch interessant. Vielleicht klingt es musikalischer als seinerzeit bei den berühmten „New kids on the blog“ oder der „Jenny from the blog“. Vielleicht erzeugt er doch aussagekräftigere Bilder als die anticineastischen, allsonntäglichen Blogbuster.  Tja, eben, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wäre es ja doch besser gewesen weiterzuklicken. Man weiß es nicht.
Denjenigen die bewusst hier sind muss ich sagen: ich bin kein Fan von Kameras und hatte entsprechend noch nie eine, also wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein photofreier Blog. Sollten aber z.B. bestimmte Gebäude, Berge, Buchten etc. so überwältigend sein dass, es selbst mit der blühendsten Phantasie nicht gelingt sie sich genau vorzustellen, so werde ich natürlich Links einbinden unter denen sich dann die weltschönsten Photos verbergen, von Profis gemacht, besser als ich es je hinbekommen würde. Bloß halt ohne mich im Vordergrund. Drum sind sie ja auch die Weltschönsten. Und sollten so herausragende Ereignisse eintreten wie z.B. das (Br)Angelina, auf der Suche nach einem Adoptivkind aus einer Nation die ihr noch fehlt, aus Versehen mich derwischt, was die Bedingung ja erstmal erfüllen würde, ja dann wird sich sicherlich auch eine Kamera in der Nähe finden. Oder ihr schaut es euch einfach in der Bildzeitung an. Im übrigen: Angelina, wenn ich Glück habe; wenn ich Pech habe ist es Madonna.
Allen kann ich aber versichern dass, die hier beschriebenen Ereignisse sich genau so zugetragen haben. Sollte ich doch mal minimalstisch-ästhetische Eingriffe vornehmen (müssen), so nur weil das Schicksal, die Wahrscheinlichkeit und Gott persönlich gewollt hätten dass, es so passiert wie hier beschrieben und nicht so wie es letztendlich geschehen ist. Und nicht etwa um etwas zu vertuschen oder zu verdrehen. Und erst recht nicht aus bukowskiesk-millerschen Entschärfungsgründen. Ok, bevor einige den letzten Satz falsch interpretieren und ich dadurch ein Teil der Leserschaft verliere: selbstverständlich werde ich an entsprechenden Stellen auf die chilenische Damenwelt näher eingehen. Und anschließend hier darüber berichten.
In diesem Sinne, wünsche ich euch und mir eine gute Reise.