Montag, 17. Januar 2011

Wochenendimpresionen


Ich wache mit einem stolzen Gefühl auf. Die beiden Brasilianerinnen mit denen ich gestern in der Disco war, die eine ist mit mir im Sprachkurs, sind zusammen nur einige Jahre älter als ich. Trotz einigen trockenen Pisco Sour, lauten südamerikanischen Rhythmen und heißen Bewegungen der Beckenpartien aller anwesenden, bin ich brav und standhaft geblieben. Zu früher Morgenstunde habe ich mich mit einem zart gehauchten Kuss auf die Wange verabschiedet, wie hier üblich, und bin in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Ich Depp. Auf einmal wird das erhabene Gefühl durch Bedauern verwässert.

Mercado Central. Trotzdem zu 90% Fischmarkt. Wer hat gesagt dass, man am frühen Morgen (also so gegen halb zwei), nach einer durchzechten Nacht (die Chilenen können richtig was am Glas und man will sich ja nicht beim ersten größeren Event die Blöße geben), nicht eine ordentliche Fisch- und Meeresfrüchtesuppe essen kann. Die Eingeborenen lieben Zitronen und egal zu welchem Mal wird mindestens eine halbierte Frucht gereicht. Über besagte Fischsuppe geträufelt bringt es die Lebensgeister richtig auf Touren. Und der fette, faule, verlauste, verfilzte Kater der mir die ganze Zeit nachgeschlichen ist, ist auch auf einmal verschwunden.

Parque Forestal. Ein etwas ranziger, in die Jahre gekommener Kunststudent will mir unbedingt erzählen dass seit Pinochet's Zeiten die Gebühren arg gestiegen sind. Auch wenn ich ihm das mit dem Studenten nicht so richtig abkaufe, ist er zum Glück nicht hartnäckig und ich kann ihn abwimmeln. Eine Oma geht mir ihren beiden Enkel spazieren. Hinter ihrem Rücken bespucken sich die beide gegenseitig. Unaufgeregt, ohne Streit, immer schön abwechselnd, so eine Art Fightclub ohne Schläge, dafür mit Spucken. Die alte Dame geht ihres Weges und ignoriert es. Ein Maricon zieht zwei geschorene Pudel und eine kilometerweite Duftwolke hinter sich her. Im Fluss, der zu dieser Jahreszeit eher ein Bach ist, kühlt sich ein toter Hund ab. Die Schmeisfliegenschar freut's. Die sogenannten Pokemons rotten sich wieder zum Rudelknutschen zusammen. Angeblich erlaubt sich die Polizei manchmal den Spass und kommt mit einem Wasserwerfen vorbei, um die Gemüter abzukühlen. Bevor ich noch selber Opfer einer Teenie-Abschlabbzunge werde oder man mir eine staatlich subventionierte Dusche verpasst, hau ich doch mal lieber ab.

Museo Nacional de Bellas Artes. Ein sehr schönes, altes Gebäude. Am beeindruckendsten ist die temporäre Ausstellung mit Photos aus dem Viertel Victoria, mit dem sinnigen Namen "La Victoria es nuestra". Hier leben wohl nur Leute die zwischen dem Rande der Gesellschaft und dem Teil der darüber hinaus liegt fluktuieren und selbige ändern wollen. So ne Art Kommune im Stadtvierteformat. Die Portraits sind der Hammer. Auch wenn auf jedes Haus mindestens einmal Ché, Allende, Jarra etc. gesprüht sind, so macht der ein oder andere Kammarad doch einen recht(s) mafiosen-gang Eindruck.

Habe mir aus dem Museumsfoyer eine Kunstzeitschrift mitgenommen. In einem Artikel wird lang und breit über den Niedergang des Rock referiert und wie der Grounge, als Untergrundretter geboren, sich durchs Bekanntwerden und Komerzialisieren selbst verraten hat. Warum ohne jeglichen Zusammenhang zum Rest der Zeitschrift etwas berichtet wird, was mit dem Tod von Kurt Cobain aus jeder nur erdenklichen Richtung bereits beleuchtet ist und im Grunde genommen nur eine Aneinanderreihung von längst bekannten Tautologien darstellt, bleibt mir ein Rätsel. Aber zum Spanisch üben ist es gut.

Home, sweet home. Quatsche vor dem Schlafengehen noch ausgiebig bei einem Glas Rotwein (Carmeniere ist eine der beliebtesten Sorten hier) mit meiner Mitbewohnerin aus Österreich, die gerade von einer zweiwöchigen Reise in den Süden den Landes zurückgekommen ist. Hat ihr gut gefallen. In ihrem Bericht schwingt auch schon bischen Bedauern mit, weil in zwei Wochen ihr viermonatiger Chileaufenthalt endet.

Und wieder ist eine Nacht vorbei. Im unteren Wohn/Ess/Küche/Bar/Terrassenbereich herrscht geschäftiges Treiben. Ca. zwanzig Leute mit Kameras, Beleuchtungsmaterial etc stehen sich gegenseitig im Weg. Nel lässt einen Werbefilm über die Wohnung drehen. Verstehe nicht warum, da er ja gut ausgebucht ist. Na ja, wenn man in der Werbebranche arbeitet, hat man so seine Beziehungen und drum wird der Spass wohl nichts kosten. Mache mich mal lieber aus dem Staub.

Cierro San Cristobal. Der bereits erwähnte 800m hohe Haushügel. Todesmutig lasse ich die Seilbahn links liegen und beginne mit dem Aufstieg. Klappt ganz gut, den die Straße ist recht flach in die Wand gebaut. Um die Autos loszuwerden, schlage ich ein Wanderweg ein. Handle mir damit steile Passagen ein (die ganz schön in die Knie gehen) und runterrasende Mountainbiker. Also ob die bei der Geschwindigkeit die untere Haarnadelkurve schaffen?!? Die Schreie bleiben jedoch aus. Oben vermischen sich die Einheimischen bei ihrem Sonntagsausflug, zum Teil mit Grillzeug beladen, mit weisbesocktsandalten amerikanischen Touristen. Es gibt eine riesige Freiluftkirche, in der Pole-Paul (alter Nuhr Spruch) mitte der Achziger auch schon eine Messe gelesen hat. Stelle mich neben die 14m große Marienstatue und wir starren beide auf die Stadt und auf die in der Ferne liegenden Anden, mit zum Teil schneebedeckten Spitzen. Beschließe einen anderen Abstiegsweg einzuschlagen. Keine gute Idee, den ich komme am entgegengesetzten Fuß des Hügels an. Mein Stolz verweigert mir aber ne U-Bahn fahrt und ich latsche stoisch entlang des Baches. Belohne mich dann mit einem Bier im Patio Bellavista, einer Ansammlung von Cafés, Restaurants und Bars, die mir aber schon fast ein bischen zu perfekt und kalt durchgestilt erscheinen. Jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Hause. Muss mich duschen und Hausaufgaben machen.

Und warum ich bereit bin einen schönen Sonntagabend mit trockenen Spanischübungen zu begehe, dies erfahrt ihr nach einer kurzen Unterbrechung.

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