Donnerstag, 3. März 2011

Santiaguinische Fortbewegungsmittel

Ich erzähl euch heute mal ein bisschen wie man hier von A nach B gelangen kann, wenn man mal keine Lust hat zu laufen. Vorab: sollte mich in Santiago ein gewaltsamer Tod ereilen, lasst nach dem Busfahrer fanden.
Wir brettern mit gut 80 durch paar Außenbezirke von Santiago. Hier sind die Busse nicht so modern wie die monströsen, ewig langen Dinger im Centrum, bei denen man den Eindruck hat bei einen Pull Truck Rennen zu sein wenn sie die Haltestelle verlassen. Nein, hier sind es Klapperkisten in denen alles vibriert und scheppert. Da es mächtig heiß ist, genügt die Kühlung (?) durch alle zur Seite geschobenen Fenster nicht, sondern wir heizen mit offenen Türen durch die Gegend. Auf selbigen kleben große Plakate mit der Aufschrift: "Zu Ihrer eigenen Sicherheit kann dieses Fahrzeug erst bei geschlossenen Türen losfahren!". Er muss aber auch so schnell fahren, schließlich kommt sein Kollege mit einem Zwillingsgefährt von hinten angeschossen und setzt auch schon auf der zweispurigen Straße zum überholen an. Na dann setze ich mal lieber zu einem Gebet an, während sich meine Hände an der Haltestange unbewusst noch ein bisschen fester krallen (ob die Finger überhaupt noch durchblutet werden?), denn wie aus dem Nichts kommt uns hinter der nächsten Kuppe ein Auto entgegen.
Die Busfahrer sind auch die Einzigen die die Ampeln so mehr als Lichtorgel zur Begleitung ihrer laut aufgedrehten Radios interpretieren. Da haben die Fußgänger schon längst Grün, da schießen noch mindestens drei Busse durch und sie haben immer noch Grüß, da fahren die Kamaraden schon längst los. Die PKW-Fahrer hingegen sind völlig südamerika-untypisch. Sie halten sich strengstens an die Ampelfarben; und jetzt kommts: sie halten an Zebrastreifen an!!! Beim ersten Mal hab ich mir gedacht der will mich verarschen und hab mich nicht getraut die Strasse vor seiner Nase zu überqueren. Also wenn ich da so an Mexico denke.... Ich glaube im Mexicanischen gibt es das Wort Zebrastreifen nicht (noch nicht mal für die armen namensgebenden Tiere) und die Ampeln sind nur Zierde oder haben bestenfalls Empfehlungswert. Hier hingegen sind sogar die Taxifahrer human und halten sich an die Verkehrsregeln. Die Taxen sind schwarz und haben ein gelbes Dach. Innen scheinen aber die Leut Gestaltungsfreiheit zu haben. Eines Tages haben wir eines angehalten um zu dem Steak-Laden der Stadt zu fahren, zum "Vacas Gordas" (Die dicken Kühe). Nur schwer konnten wir unser Gekicher unterdrücken, den der Kollege hatte den gesamten Innenraum, also insbesondere auch die Seitenwände und die Decke, im Kuhmuster designt. Gleiches hat das Restaurant mit der nicht gerade kurzen Außenwand und dem dazugehörenden Bürgersteig gemacht.

An diesem Sonntag habe ich das genießen der letzten Sonnenstrahlen etwas vorverlegt, um das Genießen der allerletzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse vorzunehmen. Schließlich muss ich mich ein bisschen ausruhen, den eine Freundin des Wohnungsbesitzers, eine Künstlerin aus New York, hat sich auf der Durchreise zu dem nächsten Ziel der Jagd nach Photos für ihre anstehende Ausstellung in der MoMa angekündigt und Nel will sie mir unbedingt vorstellen, um danach gemeinsam zum Abendessen zu gehen. Also richte ich den Liegestuhl schön Richtung Ost-West aus, fahre das Netbook hoch, stöpsle die Kopfhörer ein und öffne YouTube. Das Violinkonzert von Brahms scheint mir die adäquate Begleitmusik zu sein und ich entscheide mich für die Interpretation von Isaac Stern. Bevor ich meinen Astralkörper (wie astral, fragt ihr? die Sonne wiegt ja auch nicht gerade wenig!) auf das gekrümmte Mobiliar und meinen Kopf auf die dem Holzinstrument sanft entlockten Noten bette, will ich aber noch das Bad aufsuchen. Der ersten Schritt in die erleichternde Richtung ist noch nicht getätigt, da hör ich einen dumpfen, lauten Knall und einige Schreie. Das Lesen folgender Zeilen dauert länger als die Geschehnisse die ich beobachtet habe: ich beuge mich also über die Brüstung und sehe einen der Innenstadtbuse mit eingeschalteter Warnblinkanlage; dann sehe ich eine rumliegende Autotür und den dazugehörenden Renault ein paar Meter weiter, mit der linken Seite völlig zerbeult, das Heck, mit dem es gegen ein Werbeplakat gekracht ist, eingedrückt und die Rückbank und die Beifahrerseite in meterhohen Flammen. Der Fahrer sitzt zusammengesackt, ohnmächtig auf seinem Sitz. Zwei Passanten spurten hin. Die Tür klemmt. Sie ziehen ihn im letzten Moment durchs Fenster raus, dann steht auch schon das ganze Auto in Flammen. Zwei weitere sind mit Feuerlöscher da, wahrscheinlich aus dem Bus oder anderen Autos und halten voll drauf. Man hört auch schon die Sirenen der Feuerwehr, da scheint also ne Feuerwache in der Nähe zu sein. Sie setzen das Auto, oder das was davon übrig geblieben ist, (denn es ist völlig ausgebrannt, alle Scheiben sind geborsten etc) mächtig unter Wasser, um die letzten Kokelnester zu löschen und wahrscheinlich um zu kühlen, damit sich das noch vorhandene Benzin nicht an heißen Teilen entzünden kann. Der Mann bewegt sich wieder, man deutet ihm aber an liegen zu bleiben, bis der Krankenwagen da ist. Schneller als dieser ist nur ein Lokalreporter mit seinem Kameramann.

Die U-Bahn ist immer noch das beste, schnellste und günstigste Fortbewegungsmittel der Stadt. Und wohl auch das modernste. Der Zugang erfolgt elektronisch, mit der sog. Tarjeta Bip!. Die Tarjeta Bip! heißt Tarjeta Bip! weil wenn man die Tarjeta Bip! an die für die Tarjeta Bip! vorgesehen Stelle am Drehkreuz hält, dann ertönt, ihr werde es nicht erraten, ein Bip!. Ertönt hingegen statt dem zarten Bip! ein nervöses Bip!Bip!Bip!, dann weiss man es ist mal wieder Zeit die netten Damen in ihren Glaskasten aufzusuchen und etwas Geld auf die Tarjeta Bip! zu laden. Den "Nein-ich-zahle-in-der-Kantine-nicht-mit-dem-Ausweiss-den-dann-weiss-ich-ja-nicht-wie-viel-die-mir-wirklich-abbuchen" sei gesagt dass jedes Drehkreuz natürlich eine digitale Anzeige hat, die gleichzeitig mit dem Bip! aufleuchtet und anzeigt wie viel auf der Karte noch drauf ist und wie viel abgebucht wurde (denn es gibt vier Tarifstufen, je nach Tageszeit). Die U-Bahnen fahren in einem super schnellen Takt, so dass man auch hier den Eindruck hat da will der eine den anderen überholen. Und doch herrschen zu den Stoßzeiten japanische Verhältnisse. Drum gibt es an den Umsteigebahnhöfen auch neongelb uniformierte Herrschaften, die irgendwann nicht mehr den Zugang erlauben und wie zu besten Wies'n-Zeiten dem Kutscher durch Handzeichen andeuten dass alles ok ist. Um der Sache etwas besser Herr zu werden und die Leut von den Haltestellen wegzubekommen, sind manche Haltestellen einer Linie Rot, andere Grün und manchen Grün/Rot. Während besagten Stoßzeiten haben die Züge seitlich Lichter an die entweder Grün oder Rot leuchten und dann wird auch nur an diesen Haltestellen angehalten. Verstärkt wird die Gedrängeproblematik dadurch dass man hier das System "erst aussteigen, dann einsteigen" noch nicht kapiert hat. Liegt aber auch daran dass manche Helden sich einfach in die Tür stellen (nicht etwa seitlich, nein, quer), auch wenn sie erst in einer halben Stunde aussteigen müssen und sich von da auch nicht wegbewegen, so dass man sie richtig zur Seite schubsen muss, wenn man aussteigen will, was sich beliebig schwierig gestalten kann, wenn die von drausen bereits reindrängen. Na ja, solche Szenen durfte ich nur während der Sprachschulzeit miterleben; jetzt fahre ich ja zwischen den Stoßzeiten zur Arbeit und erst spät Abends zurück. So kann ich auch in Ruhe das Fernsehprogramm der Verkehrsbetriebe auf einem der zahlreichen Flachbildschirmen die an jedem U-Bahn-Gleis hängen genießen. Eine gute Mischung aus Nachrichten, Sport, Musik und zum Glück nur wenig Werbung. Es kann einem aber auch aufs Gemüt hauen, wenn man am frühen Morgen (also gegen Eins), auf nüchternen Magen, einem schmachtenden, sülzenden Ricky Martin über sich ergehen lassen muss. Und wenn man Pech hat, kommt auch noch eine U-Bahn der neuesten Generation, die innen auch Flachbildschirme hat, so dass einem der Schmalz weiterhin auf die Schultern tropft. Hingegen kann einem eine Hüfteschwingende Shakira oder J'Lo durchaus den Start in den Tag versüssen. Das Geld was man in die ganze Unterhaltungstechnik investierte, hat man bei der Belüftung der Haltestellen und der Wagons gespart. Es herrscht eine bullen Hitze. In den großen Haltestellen versucht man es mit einem Herrschaar von Ventilatoren in den Griff zu bekommen, die zusätzlich einen feinen Wassernebel versprühen - klappt aber nicht. Während der Fahrt hat man das Glück dass sich die Fenster der Wagons öffnen lassen; das erhöht den Geräuschpegel erheblich und stört die Yuppies beim telefonieren, die da unten selbstverständlich auch ihr Handy am Ohr kleben haben, falls es nicht schon angewachsen ist.

Eine Fahrt mit einem der wichtigsten Verkehrsmittel in Chile hab ich leider noch nicht unternommen: es ist der Weinzug. Ein Sonderzug der hier in Santiago losfährt, eine Tagesreise unternimmt, an verschiedenen Weingütern anhält und schön brav auf die Besucher während der Besichtigung und der Weinprobe wartet. Hoffentlich kommt es noch dazu.

1 Kommentar:

ElTobse hat gesagt…

Wiedermal ein sehr feiner Bericht Joshi. Den wilden mexikanischen Verkehr habe ich ebenso noch in guter Erinnerung, auf dass der nächste Tope ein flacher sei :-)
Danke auch für den Tipp mit der MoMa in NY. Falls ich mal dort sein sollte werde ich mir auf jeden Fall nicht die Ausstellung von Dir und Deinem Astralkörper anschauen :-)
Viel Spass noch und freu Dich drauf wenn Du zurück kommst wird der Ruhmreiche Glubb vor den Bayern stehen