Donnerstag, 27. Januar 2011

La Moneda


Freitag Abend. Der neue Mitbewohner ist da. Ein Jüngling aus Hesse. Wie es Tradition im Hause ist, versammelt sich (fast) die ganze Mannschaft plus ein paar sich dazugesellende Chilenen und es wird zum gemeinsamen Abendessen gegangen. Die einzige Vorabinfo: Thailändisch. Als wir ankommen erscheint mir der die Lokalität umgebende Gusseisenzaun, der mit Hilfe von Bambusmatten ungeschickt versucht Blicke und Eindringlinge aufzuhalten, etwas schlicht. Das sich dahinter abzeichnende Dach würde eher einer Lagerhalle zu Ehren gereichen. Ich denke, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Man kommt nicht einfach so rein; man muss klingeln. Als sich dann nach ein paar Schritten der schwere, plüschige Vorhang des Eingangs lichtet, denke ich, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Ob da das eingesteckte Geld reicht? Ein von Oben bis Unten durchgestilter Laden. Teakholz, tropische Pflanzen, Kronleuchter und rumwuselnde, asiatisch uniformierte Bedienungen im Überfluss. Allein die Bar des Restaurantbereichs hat eine Höhe von über vier Meter und das wuchtige, dunkle, massive Holz will jeden Moment mit dem Erdrücken beginnen. Letztendlich halten sich die Preise in Grenzen. Im Vergleich zu einem solchen Laden in Europa. Die Größe der Portionen übertrifft in ihrer Bescheidenheit die Zurückhaltung der Preise. Na gut, man wollte ja eh nur ne Kleinigkeit essen.

Samstagmorgen. Im achten Stock ist keiner da. Nel hat wohl den Neuankömmling aus dem Bett gezerrt, ist auch Tradition und Chefsache, um mit ihm die erste Stadtbegehung zu machen: hier ist der nächste Supermarkt, hier der Markt, hier die Bank meines Vertrauens etc. Was man halt so zum überleben braucht. Ich hingegen will mir heute die La Moneda anschauen, den Präsidentenpalast (das chilenische Präsidialamt - um der korrekten Beamtensprache zu genügen), dessen Photo ja diesen Blog ziert. Der vollständige Name ist eigentlich Palacio de la Moneda und kommt daher weil er früher mal die Münzstätte des Landes war. Bilder davon sind international am 11 September 1973 bekannt geworden, mit den zwei Flugzeugen der chilenischen Luftwaffe, die den Palast bombardiern, aus niedriger Flughöhe beschießen, letztendlich die Nordfassade zerstören und Großteile des Palastes in Brand setzten (aqui). Es ist die Stelle wo der demokratisch gewählte Präsident Chiles, Salvador Allende, seine letzten Stunden verbrachte. Ein integrer Mann, den selbst die Russen fallen liesen, weil er eben nicht bereit war undemokratische Mittel, wie etwa Gewalt, gegen seine Wiedersacher einzusetzen, um auf diese Weise seine Macht zu sichern (seine Kritik am Einmarsch in Prag hatte man ihm sicherlich auch nicht vergessen). Und so signalisierten sie ihr stummes Einverständniss den ihm hintergrund agierenden Amerikaner. Die Worte des almächtigen Nixon-Beraters Kissinger lauteten: "Wir waren es nicht. Aber wir haben die bestmöglichen Bedingungen geschaffen."

Allende scheiterte nicht nur an übermächtigen Gegnern, sondern auch an der Tatsache dass sich Ideale nicht in die Realität umsetzen lassen. Von hier aus hielt er seine traurige, berührende letzte Ansprache, wissend dass in Kürze die letzte Radiostation zerstört sein wird und der endgültige Angriff auf den Palast erfolgt:
"Ich spreche diese Worte nicht mit Bitterkeit, sondern voller Enttäuschung. Eines Tages wird man über den Anstand jener urteilen, die ihren Eid brachen, den sie als Soldaten Chiles geschworen haben.... Sie haben die Macht und können uns in Ketten legen, doch sie können die sozialen Entwicklungen der Welt nicht anhalten, nicht mit Verbrechen und nicht mit Gewehren... Darum schreitet voran in dem Wissen, dass unsere großen Boulevards, eher früher als später, wieder offen sein werden.... Dies sind meine letzten Worte; ich bin mir sicher, dass aus diesem Opfer eine moralische Wahrheit ans Licht tritt, die Feigheit, Niedertracht und Verrat bestrafen wird."
Es sollte mehr als 17 Jahre dauern und zehntausende von Toten fordern, von denen Tausende gequält wurden und hunderte bis heute als verschwunden gelten. Und ein noch immer gespaltenes Land hinterlassen. In all dieser Zeit sagte man in Chile, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: zusammen mit Allende wurde die Demokratie zu Grabe getragen.
Heute steht Allendes Statue neben dem Palast, im Sockel ein Zitat aus gleicher Ansprache eingraviert: "Ich glaube an Chile."

Mir verwähren weißbehandschuhte Palastgardistenangetoastete Gesicht begutachten kann, den Zutritt. Gründe wüssten sie keine, aber im Januar wird der Palast nicht mehr für Besucher freigegeben. Der Monat dauert ja nicht mehr lange, dann werd ich es halt noch mal probieren.

Ich muss mir also ein leichter zugängliches Besuchsziel aussuchen und entscheide mit für die Kathedrale. Ich komme in den klassizistischen Bau rein und kann ihn mir in seiner ganzen Pracht, incl. Nebenkapellen anschauen. Als ich allerdings in die sich unter dem opulenten Altar befindliche Krypta hinabsteigen will, versperren mir hier stumme Wächter in Form von zwischen Stühlen gespannte Bänder den Weg. Ist wohl nicht mein (Besuchs)Tag. Da ich ein drittes Scheitern pro Tag nicht verkraften würde, komme ich meiner Pflicht als zeitältester (und bis vor zwei Tagen einziger) männliche Bewohner nach und schnappe mir den vom Jetlag und Nels Tour etwas erschöpften Neuankömmling, um ihm eine der möglichen Stellen zu zeigen, wo man die letzten Sonnenstrahlen des Tages geniesen kann. Zu spät merken wir dass der einzig noch freie Tisch sich neben einem befindet, an dem zwei bereits recht angeheiterte lokale Enddreisiger sitzen. Sofort werden wir als Übersetzer eingebunden, für deren Unterfangen, drei Amerikanerinnen am Tisch hinter uns in ein Restaurant einzuladen. Hab eigentlich keine große Lust dazu, aber man will ja die Bewohner des Gastgeberlandes nicht beleidigen, also starte ich einen halbherzigen Versuch. Gott waren die hässlich! Dagegen war ja schon die nicht ganz so alte Stewardes vom Herflug ne Schönheit. Ich war heil froh dass sie dankend ablehnten und sich auch bald aus dem Staub machten. Um den Kollegen am Nebentisch auch was vom Schock abzugeben, versuchte ich sie über den physischen Zustand ihrer potentiell-und-doch-bereits-verflossenen Restaurantbesucherinnen aufzuklären. Sie versicherten mir dass sie dann so betrunken auch wiederum nicht seien und durchaus leichte Ansätze erkannt haben, die nicht dem üblichen Schönheitsideal entsprächen, aber angeblich zählt für Chilenen nur eines: blondes Haar. Der Rest spielt keine Rolle. Meine Argumente dass dies nicht alles sein kann (und als einer der mit Alice Schwarzer bereits Hand-in-Hand in erster Reihe marschiert ist, habe ich natürlich die inneren Werte und deren Schönheit angesprochen) liesen sie aber völlig kalt. Da die Bedienung den Beiden keine weiteren Getränke kredenzen wollte, bis sie nicht ihre bisherige Zeche beglichen, ist einer von ihnen leicht schwankend Richtung des nächsten Geldautomaten gegangen. Jetzt war klar dass wir für den zeitweise Übriggebliebenen, nicht nur das Gesprächspartnervakuum der entflohenen Matronen, sondern auch das seines Kollegen auffüllen mussten. Er begann sofort mit der Aufzählung von Sehenswürdigkeiten. Dabei schien ihm eine Lokalität besonders am Herzen zu liegen und zwar eine Bar namens La Piojera , mit der Späzialität des Hauses "terremoto", einem Gemisch aus Wein und Speiseeis. Diese Kombination, nebst der Übersetzungen der Namen des Ladens = Lausehöhle und des Getränks = Erdbeben liesen meine Neugierde nicht zu sehr anwachsen. An dieser Stelle sei erwähnt dass in Chile Erdbewegungen erst ab einer Stärke von 7.0 auf der Richterskala als Erdbeben bezeichnet werden. Mitlerweile war der verschwundene Kollege wieder aufgetaucht und die beiden waren finanziell wieder online. Der anstrengende Weg zum Geldautomat und die auf der Haut schmeichelnden Sonnenstrahlen liesen ihn aber recht schnell hinter seiner Designersonnenbrille im Sitzen eindösen. Also berichtete uns als letztes wiederum der Andere wie er das Erdbeben Anfang letzten Jahres erlebt hat, wobei bei dem Eingeschlafenen das Gehör noch zu funktionieren schien, denn er erhob von Zeit zu Zeit den Zeigefinger und wiederholte eines der gerade gefallenen Worte: " hhmmm, si, terremoto..." Nel tat mir später Kund dass seine Meinung über La Piojera nicht all zu hoch sei und dass im terremoto neben dem Speiseeis nicht nur Wein drin ist, sondern alles was die Bar so hergibt (so eine Art Long Island Ice Tee mit Eis statt Eiswürfel??). Als ich ihn dann nochmals später mit meiner Entdeckung konfrontierte dass der Laden gleich vorne im Lonely Planet unter den 8 wichtigsten Muss-man-gesehen-haben aufgeführt ist, hat er zugegeben dass man schon mal hingehen kann, wenn nicht gar muss. Sollte mich also eines Tages der Weg ins La Piojera führen, werde ich wohl meinen ganzen Mut zusammennehmen müssen und halt einen terremoto probieren, aber nicht bevor ich mich versichert habe, dass noch genügend Imodium akut da ist.

Sonntagmorgen. Schock. Zum ersten mal seit meiner Ankunft hat sich eine kleine, weiße, plüschige Wolke auf dem ansonsten strahlend blauen Himmel verirrt. Würde ich es auf meinen alten Tagen noch schaffen einen Kopfstand zu machen, würde es aussehen wie ein Wattebäuschchen auf einem stillen, kristallklarem See, das nicht dabei nass wird. Zum einen bin ich froh, denn ich dachte schon hier gibt's im Sommer keine Wolken, dass die die alle einfangen und nach Europa exportieren. Zum anderen begebe ich mich nachdenklich unter die Dusche: sollte dies der Anfang vom Ende des guten Wetters sein? Nein. Bei meiner Rückkehr stoße ich mit dem Kopf wieder gegen den stählernen, blitzsauberen Himmel. Eingefangen. Exportiert.
Mache mich auf den Weg ins Museo de la Solidaridad Salvador Allende. Sonntags ist die Stadt wie ausgestorben. Über der gesamten Länge der Avenida Republica, die von schönen, alten Kolonialhäusern gesäumt wir, von denen die meisten wohl irgendwelchen Universitäten gehören, begegne ich keiner Menschen Seele. Im vorbeigehen verrät mir ein reingeworfener Blick dass selbst der McDonald's, der sich natürlich auch hier eins der prächtigen Gebäude geschnappt hat, leer ist, bis auf die zwei gelangweilten, halb dösenden Gestalten hinter der Theke. Obwohl sonntags die Museen keinen Eintritt kosten, sind ausser mir nur noch eine Mutter mit zwei Teenager-Töchter zu besuch und bei letzteren beiden kann man eigentlich nicht von anwesend sprechen, den mit den Gedanken scheinen sie in irgend einem Schwimmbad oder so zu sein. Eigentlich schade, denn nicht nur das stattliche, alte, schön renovierte Haus ist sehenswert (ironischerweise war es während der Diktatur als Abhörstation vom berüchtigten Geheimdienst genutzt worden), sondern natürlich die hier ausgestellten Werke. Bereits zu Allendes Lebzeiten, ab 1971, haben namhafte Künstler die Früchte ihrer Arbeit dem Museum gestiftet und sind heute noch Teil der Dauerausstellung: Picasso, Miró, Vasarely etc. Während der Pinochet-Zeit ist die Anzahl der Ausstellungsstücke im Ausland unter dem Namen Museum des Wiederstandes ständig gewachsen. Ergänzt wird sie heutzutage durch Wechselaustellungen zeitgenössischer Künstler. Diesmal gibt es einen valonischen Schwerpunkt.
Wie ein Mahnmal ist noch ein kleiner, abgedunkelter Raum vorhanden, in dem man ein paar persönlichen Gegenständen Allendes betrachten kann, während die Stimme des ex-Präsidenten aus einer Installation erklingt.

Da ja dieses Wochenende, und somit auch mein Bericht, eindeutig einen Schwerpunkt hatte, möchteschliessen, ohne für Interessierte eine Filmempfehlung auszusprechen. Und zwar handelt es sich um die Dokumentation "Salvador Allende" von Patricio Guzman, die graue Eminenz unter den chilenischen Dokumentarfilmer, aus dem Jahre 2004; er läuft in Deutschland immer mal wieder im Fernsehen und auch in manchen Programkinos.

2 Kommentare:

Harald hat gesagt…

Seaus vere,

als erstes muss ich meinen Respekt vor Deinen tollen Berichten aussprechen. Ganz gespannt lesen wir hier(bei -7 Grad)Deine Zeilen und nicht ohne Neid stellen wir uns das schöne Wetter vor.
Bin mal gespannt wann Du Deine 1. "Weinkulturreise" unternehmen wirst, und was Du da zu berichten hast
Sehr interessant finde ich auch die Berichte über die Sehenswürdigkeiten und über die Geschichte.
Ich hoffe Du wirst weiterhin von SALMA gut versorgt und es geht Dir gut. Selbst der Roby (P... von Mallorca) liest Deine Berichte, nachdem ich ihm den link geschickt habe. Mach weiter so und geniesse die Zeit in Chile! Alles Gute!

Ciao,
Harald

Alex hat gesagt…

Grüß Dich Johann,

das war ein sehr kurzweiliger Bericht Deiner Erlebnisse. Allerdings habe ich Deinen Bukowski-Schreibstil vom Beginn Deines Blogs vermisst.

Hier noch ein Tipp unter Freunden (...): Niemand, der Dich kennt, glaubt, dass Du solch eine Angst vor Erdbeben hast!


Alex