Donnerstag, 27. Januar 2011

La Moneda


Freitag Abend. Der neue Mitbewohner ist da. Ein Jüngling aus Hesse. Wie es Tradition im Hause ist, versammelt sich (fast) die ganze Mannschaft plus ein paar sich dazugesellende Chilenen und es wird zum gemeinsamen Abendessen gegangen. Die einzige Vorabinfo: Thailändisch. Als wir ankommen erscheint mir der die Lokalität umgebende Gusseisenzaun, der mit Hilfe von Bambusmatten ungeschickt versucht Blicke und Eindringlinge aufzuhalten, etwas schlicht. Das sich dahinter abzeichnende Dach würde eher einer Lagerhalle zu Ehren gereichen. Ich denke, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Man kommt nicht einfach so rein; man muss klingeln. Als sich dann nach ein paar Schritten der schwere, plüschige Vorhang des Eingangs lichtet, denke ich, Oh je, wo sind wir hier gelandet. Ob da das eingesteckte Geld reicht? Ein von Oben bis Unten durchgestilter Laden. Teakholz, tropische Pflanzen, Kronleuchter und rumwuselnde, asiatisch uniformierte Bedienungen im Überfluss. Allein die Bar des Restaurantbereichs hat eine Höhe von über vier Meter und das wuchtige, dunkle, massive Holz will jeden Moment mit dem Erdrücken beginnen. Letztendlich halten sich die Preise in Grenzen. Im Vergleich zu einem solchen Laden in Europa. Die Größe der Portionen übertrifft in ihrer Bescheidenheit die Zurückhaltung der Preise. Na gut, man wollte ja eh nur ne Kleinigkeit essen.

Samstagmorgen. Im achten Stock ist keiner da. Nel hat wohl den Neuankömmling aus dem Bett gezerrt, ist auch Tradition und Chefsache, um mit ihm die erste Stadtbegehung zu machen: hier ist der nächste Supermarkt, hier der Markt, hier die Bank meines Vertrauens etc. Was man halt so zum überleben braucht. Ich hingegen will mir heute die La Moneda anschauen, den Präsidentenpalast (das chilenische Präsidialamt - um der korrekten Beamtensprache zu genügen), dessen Photo ja diesen Blog ziert. Der vollständige Name ist eigentlich Palacio de la Moneda und kommt daher weil er früher mal die Münzstätte des Landes war. Bilder davon sind international am 11 September 1973 bekannt geworden, mit den zwei Flugzeugen der chilenischen Luftwaffe, die den Palast bombardiern, aus niedriger Flughöhe beschießen, letztendlich die Nordfassade zerstören und Großteile des Palastes in Brand setzten (aqui). Es ist die Stelle wo der demokratisch gewählte Präsident Chiles, Salvador Allende, seine letzten Stunden verbrachte. Ein integrer Mann, den selbst die Russen fallen liesen, weil er eben nicht bereit war undemokratische Mittel, wie etwa Gewalt, gegen seine Wiedersacher einzusetzen, um auf diese Weise seine Macht zu sichern (seine Kritik am Einmarsch in Prag hatte man ihm sicherlich auch nicht vergessen). Und so signalisierten sie ihr stummes Einverständniss den ihm hintergrund agierenden Amerikaner. Die Worte des almächtigen Nixon-Beraters Kissinger lauteten: "Wir waren es nicht. Aber wir haben die bestmöglichen Bedingungen geschaffen."

Allende scheiterte nicht nur an übermächtigen Gegnern, sondern auch an der Tatsache dass sich Ideale nicht in die Realität umsetzen lassen. Von hier aus hielt er seine traurige, berührende letzte Ansprache, wissend dass in Kürze die letzte Radiostation zerstört sein wird und der endgültige Angriff auf den Palast erfolgt:
"Ich spreche diese Worte nicht mit Bitterkeit, sondern voller Enttäuschung. Eines Tages wird man über den Anstand jener urteilen, die ihren Eid brachen, den sie als Soldaten Chiles geschworen haben.... Sie haben die Macht und können uns in Ketten legen, doch sie können die sozialen Entwicklungen der Welt nicht anhalten, nicht mit Verbrechen und nicht mit Gewehren... Darum schreitet voran in dem Wissen, dass unsere großen Boulevards, eher früher als später, wieder offen sein werden.... Dies sind meine letzten Worte; ich bin mir sicher, dass aus diesem Opfer eine moralische Wahrheit ans Licht tritt, die Feigheit, Niedertracht und Verrat bestrafen wird."
Es sollte mehr als 17 Jahre dauern und zehntausende von Toten fordern, von denen Tausende gequält wurden und hunderte bis heute als verschwunden gelten. Und ein noch immer gespaltenes Land hinterlassen. In all dieser Zeit sagte man in Chile, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: zusammen mit Allende wurde die Demokratie zu Grabe getragen.
Heute steht Allendes Statue neben dem Palast, im Sockel ein Zitat aus gleicher Ansprache eingraviert: "Ich glaube an Chile."

Mir verwähren weißbehandschuhte Palastgardistenangetoastete Gesicht begutachten kann, den Zutritt. Gründe wüssten sie keine, aber im Januar wird der Palast nicht mehr für Besucher freigegeben. Der Monat dauert ja nicht mehr lange, dann werd ich es halt noch mal probieren.

Ich muss mir also ein leichter zugängliches Besuchsziel aussuchen und entscheide mit für die Kathedrale. Ich komme in den klassizistischen Bau rein und kann ihn mir in seiner ganzen Pracht, incl. Nebenkapellen anschauen. Als ich allerdings in die sich unter dem opulenten Altar befindliche Krypta hinabsteigen will, versperren mir hier stumme Wächter in Form von zwischen Stühlen gespannte Bänder den Weg. Ist wohl nicht mein (Besuchs)Tag. Da ich ein drittes Scheitern pro Tag nicht verkraften würde, komme ich meiner Pflicht als zeitältester (und bis vor zwei Tagen einziger) männliche Bewohner nach und schnappe mir den vom Jetlag und Nels Tour etwas erschöpften Neuankömmling, um ihm eine der möglichen Stellen zu zeigen, wo man die letzten Sonnenstrahlen des Tages geniesen kann. Zu spät merken wir dass der einzig noch freie Tisch sich neben einem befindet, an dem zwei bereits recht angeheiterte lokale Enddreisiger sitzen. Sofort werden wir als Übersetzer eingebunden, für deren Unterfangen, drei Amerikanerinnen am Tisch hinter uns in ein Restaurant einzuladen. Hab eigentlich keine große Lust dazu, aber man will ja die Bewohner des Gastgeberlandes nicht beleidigen, also starte ich einen halbherzigen Versuch. Gott waren die hässlich! Dagegen war ja schon die nicht ganz so alte Stewardes vom Herflug ne Schönheit. Ich war heil froh dass sie dankend ablehnten und sich auch bald aus dem Staub machten. Um den Kollegen am Nebentisch auch was vom Schock abzugeben, versuchte ich sie über den physischen Zustand ihrer potentiell-und-doch-bereits-verflossenen Restaurantbesucherinnen aufzuklären. Sie versicherten mir dass sie dann so betrunken auch wiederum nicht seien und durchaus leichte Ansätze erkannt haben, die nicht dem üblichen Schönheitsideal entsprächen, aber angeblich zählt für Chilenen nur eines: blondes Haar. Der Rest spielt keine Rolle. Meine Argumente dass dies nicht alles sein kann (und als einer der mit Alice Schwarzer bereits Hand-in-Hand in erster Reihe marschiert ist, habe ich natürlich die inneren Werte und deren Schönheit angesprochen) liesen sie aber völlig kalt. Da die Bedienung den Beiden keine weiteren Getränke kredenzen wollte, bis sie nicht ihre bisherige Zeche beglichen, ist einer von ihnen leicht schwankend Richtung des nächsten Geldautomaten gegangen. Jetzt war klar dass wir für den zeitweise Übriggebliebenen, nicht nur das Gesprächspartnervakuum der entflohenen Matronen, sondern auch das seines Kollegen auffüllen mussten. Er begann sofort mit der Aufzählung von Sehenswürdigkeiten. Dabei schien ihm eine Lokalität besonders am Herzen zu liegen und zwar eine Bar namens La Piojera , mit der Späzialität des Hauses "terremoto", einem Gemisch aus Wein und Speiseeis. Diese Kombination, nebst der Übersetzungen der Namen des Ladens = Lausehöhle und des Getränks = Erdbeben liesen meine Neugierde nicht zu sehr anwachsen. An dieser Stelle sei erwähnt dass in Chile Erdbewegungen erst ab einer Stärke von 7.0 auf der Richterskala als Erdbeben bezeichnet werden. Mitlerweile war der verschwundene Kollege wieder aufgetaucht und die beiden waren finanziell wieder online. Der anstrengende Weg zum Geldautomat und die auf der Haut schmeichelnden Sonnenstrahlen liesen ihn aber recht schnell hinter seiner Designersonnenbrille im Sitzen eindösen. Also berichtete uns als letztes wiederum der Andere wie er das Erdbeben Anfang letzten Jahres erlebt hat, wobei bei dem Eingeschlafenen das Gehör noch zu funktionieren schien, denn er erhob von Zeit zu Zeit den Zeigefinger und wiederholte eines der gerade gefallenen Worte: " hhmmm, si, terremoto..." Nel tat mir später Kund dass seine Meinung über La Piojera nicht all zu hoch sei und dass im terremoto neben dem Speiseeis nicht nur Wein drin ist, sondern alles was die Bar so hergibt (so eine Art Long Island Ice Tee mit Eis statt Eiswürfel??). Als ich ihn dann nochmals später mit meiner Entdeckung konfrontierte dass der Laden gleich vorne im Lonely Planet unter den 8 wichtigsten Muss-man-gesehen-haben aufgeführt ist, hat er zugegeben dass man schon mal hingehen kann, wenn nicht gar muss. Sollte mich also eines Tages der Weg ins La Piojera führen, werde ich wohl meinen ganzen Mut zusammennehmen müssen und halt einen terremoto probieren, aber nicht bevor ich mich versichert habe, dass noch genügend Imodium akut da ist.

Sonntagmorgen. Schock. Zum ersten mal seit meiner Ankunft hat sich eine kleine, weiße, plüschige Wolke auf dem ansonsten strahlend blauen Himmel verirrt. Würde ich es auf meinen alten Tagen noch schaffen einen Kopfstand zu machen, würde es aussehen wie ein Wattebäuschchen auf einem stillen, kristallklarem See, das nicht dabei nass wird. Zum einen bin ich froh, denn ich dachte schon hier gibt's im Sommer keine Wolken, dass die die alle einfangen und nach Europa exportieren. Zum anderen begebe ich mich nachdenklich unter die Dusche: sollte dies der Anfang vom Ende des guten Wetters sein? Nein. Bei meiner Rückkehr stoße ich mit dem Kopf wieder gegen den stählernen, blitzsauberen Himmel. Eingefangen. Exportiert.
Mache mich auf den Weg ins Museo de la Solidaridad Salvador Allende. Sonntags ist die Stadt wie ausgestorben. Über der gesamten Länge der Avenida Republica, die von schönen, alten Kolonialhäusern gesäumt wir, von denen die meisten wohl irgendwelchen Universitäten gehören, begegne ich keiner Menschen Seele. Im vorbeigehen verrät mir ein reingeworfener Blick dass selbst der McDonald's, der sich natürlich auch hier eins der prächtigen Gebäude geschnappt hat, leer ist, bis auf die zwei gelangweilten, halb dösenden Gestalten hinter der Theke. Obwohl sonntags die Museen keinen Eintritt kosten, sind ausser mir nur noch eine Mutter mit zwei Teenager-Töchter zu besuch und bei letzteren beiden kann man eigentlich nicht von anwesend sprechen, den mit den Gedanken scheinen sie in irgend einem Schwimmbad oder so zu sein. Eigentlich schade, denn nicht nur das stattliche, alte, schön renovierte Haus ist sehenswert (ironischerweise war es während der Diktatur als Abhörstation vom berüchtigten Geheimdienst genutzt worden), sondern natürlich die hier ausgestellten Werke. Bereits zu Allendes Lebzeiten, ab 1971, haben namhafte Künstler die Früchte ihrer Arbeit dem Museum gestiftet und sind heute noch Teil der Dauerausstellung: Picasso, Miró, Vasarely etc. Während der Pinochet-Zeit ist die Anzahl der Ausstellungsstücke im Ausland unter dem Namen Museum des Wiederstandes ständig gewachsen. Ergänzt wird sie heutzutage durch Wechselaustellungen zeitgenössischer Künstler. Diesmal gibt es einen valonischen Schwerpunkt.
Wie ein Mahnmal ist noch ein kleiner, abgedunkelter Raum vorhanden, in dem man ein paar persönlichen Gegenständen Allendes betrachten kann, während die Stimme des ex-Präsidenten aus einer Installation erklingt.

Da ja dieses Wochenende, und somit auch mein Bericht, eindeutig einen Schwerpunkt hatte, möchteschliessen, ohne für Interessierte eine Filmempfehlung auszusprechen. Und zwar handelt es sich um die Dokumentation "Salvador Allende" von Patricio Guzman, die graue Eminenz unter den chilenischen Dokumentarfilmer, aus dem Jahre 2004; er läuft in Deutschland immer mal wieder im Fernsehen und auch in manchen Programkinos.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Espananisch

Freunde, es gibt kein Entkommen mehr, heute müssen wir darüber reden: über die spanische Grammatik. Ich werde hier schließlich Tag ein, Tag aus damit konfrontiert, also sollt ihr auch was davon haben.

Es trug sich kurz nach dem Anno Domini 1492, als dem Kolumbus sein Christoph, ähnlich einer Frau beim Shoppen, die immer was anderes findet als sie eigentlich sucht und davon ein bisschen mehr, einen ganzen Kontinent (wieder)entdeckte. Da trat in Sevilla ein Komitee zusammen, bestehend aus royalen Vertreter, Kriegsherren, Kirchenleuten und Wissenschaftler, um zu überlegen wie man den Findling und seine Eingeborene unterwerfen kann. Klar, einmarschieren mit einer gut ausgestatteten Armee. Noch paar kernige Krankheiten dazugepackt. Und wenn selbst die Missionare versagen sollten, dann machen wir sie mit der Sprache fertig. So zu sagen die linguistische Atombombe jener Zeit und die Geburt der psychologischen Kriegsführung. Und damit die auch ja ordentlich Wirkung zeigt, hat man eine bis dahin einfache, gut geordnete Sprache kräftig aufgemöbelt und durchgemischt. Man begann klein und doppelte einige Worte: für das einfache Wort für por und para, für das Verb sein ser und estar etc. Und steigerte sich im Rausch der Chaos erzeugenden Glücksgefühlen bis hin zum irregularisieren (fast) aller Verben und dem Erfinden neuer Vergangenheitszeiten. Hatte den lustigen Nebeneffekt dass, man damit auch alle Völker mit germanischen Sprachen verwirren konnte.

Zur Verdeutlichung ein kleiner Auszug aus Langenscheidts Standardgrammatik Spanisch zum Thema Zeiten am Beispiel des Verbs sprechen:
Indefinido: hat keine deutsche Form; kann übersetzt werden mit ich habe gesprochen oder ich sprach.
Imperfecto: im Deutschen Imperfekt; kann übersetzt werden mit ich sprach oder ich habe gesprochen.
Perfecto: im Deutschen Perfekt; kann übersetzt werden mit ich habe gesprochen.
Ja was jetzt?

Klar zieht sich dies beim Preterito anterior (keine deutsche Form) und dem Pluscuamperfecto so weiter durch. Details zum Subjuntivo, der sich selbstverständlich auch vier Zeiten leistet, erspar ich euch; der einführende Satz im selben Buch lautet: seine Bedeutung und Anwendung ist vielfältiger und sehr verschieden vom deutschen Konjunktiv.
Habe ich bereits erwähnt dass, (fast) alle Verben irregulär sind. Also trockene Konjugationen auswendig lernen bringt nichts. Mehr chilenischen Rotwein trinken würde wohl auch nicht zum Erfolg führen, dürfte aber beim Thema Gleichgültigkeit helfen. Vielleicht mit der Spanischlehrerin was anfangen?
Die Sonne verfängt sich in ihrem langen, dunklen, lockigem Haar. Die noch viel dunkleren Augen sind wie zwei Türen zu ihrer Seele und durchdringen gleichzeitig die des Betrachters. Wenn sie lächelt, blitzen die Zähne auf dem Hintergrund ihrer gebräunten Haut auf. Die Bewegungen ihrer vollen Lippen erzeugen die Illusion heißer Versprechungen. Ihr kristallinklares Lachen überträgt die Wellenbewegungen ihres stattlichen Dekolletés auf die Phantasie des Auditoriums.
Ach wie gern würde ich euch dies schreiben. Vielleicht mit nicht so kitschigen Worten. Aber sie ist 150; und damit sind wir noch beim Alter und noch nicht beim Gewicht. Ihr "freundliches" Wesen und ihr "sonniges" Gemüt sind sicherlich nicht die Gründe warum sie die Sprachschule engagiert hat. Jedoch hätten ihr beides gewiss eine hohe Position in Pinochet's Junta garantiert. Selbstverständlich tun diese Eigenschaften ihrer fachlichen Kompetenz kein Abbruch und dem Lehr(n)erfolg erst recht nicht, denn zum einen sind die Schüler nicht abgelenkt und zum anderen ist pure, nackte Angst auch ein hervorragender Motivator.

Deswegen mach ich an dieser Stelle mal lieber Schluss und beginne schnellstens mit dem Repetieren unregelmäßiger Verben.

Montag, 17. Januar 2011

Wochenendimpresionen


Ich wache mit einem stolzen Gefühl auf. Die beiden Brasilianerinnen mit denen ich gestern in der Disco war, die eine ist mit mir im Sprachkurs, sind zusammen nur einige Jahre älter als ich. Trotz einigen trockenen Pisco Sour, lauten südamerikanischen Rhythmen und heißen Bewegungen der Beckenpartien aller anwesenden, bin ich brav und standhaft geblieben. Zu früher Morgenstunde habe ich mich mit einem zart gehauchten Kuss auf die Wange verabschiedet, wie hier üblich, und bin in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Ich Depp. Auf einmal wird das erhabene Gefühl durch Bedauern verwässert.

Mercado Central. Trotzdem zu 90% Fischmarkt. Wer hat gesagt dass, man am frühen Morgen (also so gegen halb zwei), nach einer durchzechten Nacht (die Chilenen können richtig was am Glas und man will sich ja nicht beim ersten größeren Event die Blöße geben), nicht eine ordentliche Fisch- und Meeresfrüchtesuppe essen kann. Die Eingeborenen lieben Zitronen und egal zu welchem Mal wird mindestens eine halbierte Frucht gereicht. Über besagte Fischsuppe geträufelt bringt es die Lebensgeister richtig auf Touren. Und der fette, faule, verlauste, verfilzte Kater der mir die ganze Zeit nachgeschlichen ist, ist auch auf einmal verschwunden.

Parque Forestal. Ein etwas ranziger, in die Jahre gekommener Kunststudent will mir unbedingt erzählen dass seit Pinochet's Zeiten die Gebühren arg gestiegen sind. Auch wenn ich ihm das mit dem Studenten nicht so richtig abkaufe, ist er zum Glück nicht hartnäckig und ich kann ihn abwimmeln. Eine Oma geht mir ihren beiden Enkel spazieren. Hinter ihrem Rücken bespucken sich die beide gegenseitig. Unaufgeregt, ohne Streit, immer schön abwechselnd, so eine Art Fightclub ohne Schläge, dafür mit Spucken. Die alte Dame geht ihres Weges und ignoriert es. Ein Maricon zieht zwei geschorene Pudel und eine kilometerweite Duftwolke hinter sich her. Im Fluss, der zu dieser Jahreszeit eher ein Bach ist, kühlt sich ein toter Hund ab. Die Schmeisfliegenschar freut's. Die sogenannten Pokemons rotten sich wieder zum Rudelknutschen zusammen. Angeblich erlaubt sich die Polizei manchmal den Spass und kommt mit einem Wasserwerfen vorbei, um die Gemüter abzukühlen. Bevor ich noch selber Opfer einer Teenie-Abschlabbzunge werde oder man mir eine staatlich subventionierte Dusche verpasst, hau ich doch mal lieber ab.

Museo Nacional de Bellas Artes. Ein sehr schönes, altes Gebäude. Am beeindruckendsten ist die temporäre Ausstellung mit Photos aus dem Viertel Victoria, mit dem sinnigen Namen "La Victoria es nuestra". Hier leben wohl nur Leute die zwischen dem Rande der Gesellschaft und dem Teil der darüber hinaus liegt fluktuieren und selbige ändern wollen. So ne Art Kommune im Stadtvierteformat. Die Portraits sind der Hammer. Auch wenn auf jedes Haus mindestens einmal Ché, Allende, Jarra etc. gesprüht sind, so macht der ein oder andere Kammarad doch einen recht(s) mafiosen-gang Eindruck.

Habe mir aus dem Museumsfoyer eine Kunstzeitschrift mitgenommen. In einem Artikel wird lang und breit über den Niedergang des Rock referiert und wie der Grounge, als Untergrundretter geboren, sich durchs Bekanntwerden und Komerzialisieren selbst verraten hat. Warum ohne jeglichen Zusammenhang zum Rest der Zeitschrift etwas berichtet wird, was mit dem Tod von Kurt Cobain aus jeder nur erdenklichen Richtung bereits beleuchtet ist und im Grunde genommen nur eine Aneinanderreihung von längst bekannten Tautologien darstellt, bleibt mir ein Rätsel. Aber zum Spanisch üben ist es gut.

Home, sweet home. Quatsche vor dem Schlafengehen noch ausgiebig bei einem Glas Rotwein (Carmeniere ist eine der beliebtesten Sorten hier) mit meiner Mitbewohnerin aus Österreich, die gerade von einer zweiwöchigen Reise in den Süden den Landes zurückgekommen ist. Hat ihr gut gefallen. In ihrem Bericht schwingt auch schon bischen Bedauern mit, weil in zwei Wochen ihr viermonatiger Chileaufenthalt endet.

Und wieder ist eine Nacht vorbei. Im unteren Wohn/Ess/Küche/Bar/Terrassenbereich herrscht geschäftiges Treiben. Ca. zwanzig Leute mit Kameras, Beleuchtungsmaterial etc stehen sich gegenseitig im Weg. Nel lässt einen Werbefilm über die Wohnung drehen. Verstehe nicht warum, da er ja gut ausgebucht ist. Na ja, wenn man in der Werbebranche arbeitet, hat man so seine Beziehungen und drum wird der Spass wohl nichts kosten. Mache mich mal lieber aus dem Staub.

Cierro San Cristobal. Der bereits erwähnte 800m hohe Haushügel. Todesmutig lasse ich die Seilbahn links liegen und beginne mit dem Aufstieg. Klappt ganz gut, den die Straße ist recht flach in die Wand gebaut. Um die Autos loszuwerden, schlage ich ein Wanderweg ein. Handle mir damit steile Passagen ein (die ganz schön in die Knie gehen) und runterrasende Mountainbiker. Also ob die bei der Geschwindigkeit die untere Haarnadelkurve schaffen?!? Die Schreie bleiben jedoch aus. Oben vermischen sich die Einheimischen bei ihrem Sonntagsausflug, zum Teil mit Grillzeug beladen, mit weisbesocktsandalten amerikanischen Touristen. Es gibt eine riesige Freiluftkirche, in der Pole-Paul (alter Nuhr Spruch) mitte der Achziger auch schon eine Messe gelesen hat. Stelle mich neben die 14m große Marienstatue und wir starren beide auf die Stadt und auf die in der Ferne liegenden Anden, mit zum Teil schneebedeckten Spitzen. Beschließe einen anderen Abstiegsweg einzuschlagen. Keine gute Idee, den ich komme am entgegengesetzten Fuß des Hügels an. Mein Stolz verweigert mir aber ne U-Bahn fahrt und ich latsche stoisch entlang des Baches. Belohne mich dann mit einem Bier im Patio Bellavista, einer Ansammlung von Cafés, Restaurants und Bars, die mir aber schon fast ein bischen zu perfekt und kalt durchgestilt erscheinen. Jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Hause. Muss mich duschen und Hausaufgaben machen.

Und warum ich bereit bin einen schönen Sonntagabend mit trockenen Spanischübungen zu begehe, dies erfahrt ihr nach einer kurzen Unterbrechung.

Dienstag, 11. Januar 2011

Flu(g)ch

Santiago. 30 Grad. Ich habe mir ein schattiges Plätzchen auf der riesigen Terrasse der Wohnung im 8 Stock gesucht, mit Blick auf den Cerro San Cristobál, den höchsten der santiaguinischen Haushügel, und auf die in der Ferne die stadtumsäumenden Anden. Nein Salma, danke, den nächsten Drink nehme ich erst nach dem ich diesen Post geschrieben und veröffentlicht habe. Na gut, aber nur so lange bis du mir die Sonnenmilch einmassiert hast.
Es ist jedoch nicht Neid den mein erster Eintrag aus Chile erzeugen soll, sondern Mitleid. Jawohl, Mitleid, den ich muss euch vom Flug berichten.
Begonnen hat es schon mal damit dass, Air France die Möglichkeit des online CheckIn bietet. Nach einer Beschreibung in fünf Schritten, wobei man in Schritt drei sich den Platz aussuchen kann. Blöd wenn es nur vier Schritte gibt, die Hotline keine Ahnung hat und das vielsagende Lächeln des Mannes vom Bodenpersonal andeutet dass dies noch nie funktioniert hat. Blöder ist es allerdings wenn besagte Fluggesellschaft Nürnberg keinen Zugriff auf das System bietet und man mir eine minutenlange Einweisung hällt wo es am Pariser Flughafen einen Transitschalter gibt - hat ja seinerzeit in Mexico Stadt schon gut funktioniert. Als in Nürnberg der Bus bereits zum Flieger losfahren wollte, bekam ich dann doch noch das Ticket durch den Türschlitz reingereicht, mit einem Platz so mittig dass es mittiger gar nicht mehr geht. Nach einer einstündigen Hetzjagd durch Charles de Gaulle, incl. Busfahrt außerhalb des Gebäudes, Zugfahrt innerhalb des selbigen und diversen Sicherheitskontrollen, wurde ich beim Boarden geschockt.
Unsere französischen Nachbarn behaupten doch immer von sich selber die schönsten Frauen der Welt zu haben. Wenn dies nur ansatzweise stimmt, dann muss die Fluggesellschaft ein verdammt hartes Auswahlverfahren entwickelt haben (mehrstufiges Assesmentcenter oder so), den so abgewrackte, hässliche Stewardessen habe ich schon lange nicht mehr gesehen und ich bin bereits Iberia und KLM auf Langstrecken geflogen. Die Chefstewardess, die war so alt, die hat bestimmt schon den Gebrüder Montgolfier die Getränke im Korb ihres Heisluftballons gereicht. Ja selbst beim Quotensteward waren die hochgegelten, blondierten Haarspitzen am ausbleichen und das eingemeiselte Lächeln am bröckeln.
Gut, die gleichen Nachbarn behaupten ja auch dass, die besten Köche der Welt Franzosen wären. Für das Catering der Fluggesellschaft arbeiten die gewiss nicht. Also hoffte ich das wenigstens der Cognac nach dem opulenten Mal einige Sterne hat. Es gab keinen. Schade. Vielleicht hätte dies das unaufhörliche Geschrei des Babys zwei Reihen hinter mir erträglicher gestaltet. Wobei man fairerweise sagen muss dass es nicht die ganze Zeit geplärt hat. Alle drei Stunden verwandelte es sich für ca. 10 Min in ein quitschiges Röcheln. Da capo. Also wenn man in der sargähnlichen Toilette gleichzeitig den Wasserhahn und die Klospühlung betätigte und es schaffte sich dabei so tief zu bücken dass, man gerade so nicht miteingesogen wurde, dann übertönte das sanfte Rauschen des Wasserfalls alle anderen Geräusche. Diesen Effekt mussten auch alle Nachbarreihen entdeckt haben; oder sie hatten einen nervösen Magen. Auf jeden Fall waren die Schlangen immer beträchtlich. Ich konnte mich eh nicht all zu oft anstellen, denn mein Gangsitznachbar, ein Koloss neben dem ich so dünn wirkte dass mich die Stewardessen schon anfüttern wollten, hatte einen langen und vor allem tiefen Schlaf, so dass ich eh nicht rauskam. Das Entertainmentgprogramm schaffte auch keine Abhilfe, den der Vogel war so alt (und ich spreche nicht mehr von der Stewardess), das die lautesten Töne die aus den Kopfhörer kamen eher mit Krächzen zu beschreiben sind. Als wir in heftigste Turbulenzen gerieten, hatte die Möglichkeit eines Absturzes all ihr Schrecken verloren, um nicht zu sagen sie erschien mir langsam als süße Alternative. Und als endlich der Boden des südamerikanischen Kontinents die Wogen des Ozeans ablösten, wollte ich nach einem Fallschirm fragen. Leider waren die Stewardessen schon lange nicht mehr gesehen worden. Entweder Altersschwäche oder sie haben die Fallschirme selbst genutzt.
All dies wurde aber von der samtigen Umarmung der sommerlichen Wärme, die einem gleich beim Ausstieg die Nerven massierte und von den ersten Eindrücken der neuen Umgebung bei der Fahrt in die Stadt wett gemacht.
Aber darüber habe ich ja noch oft Gelegenheit zu berichten. Von einem Langstreckenflug, Gott sei Dank, die nächsten drei Monate nicht.

SSSaaaaalllllllmmmmmaaaaaaaa...........

Dienstag, 4. Januar 2011

Prolog:

Erstmal ein herzliches „Prosit Neujahr!“ allen die bewusst oder unbewusst auf dieser Seite gelandet sind.
Denjenigen die sich durch Zufall reingeklickt haben und denken „Oh nein, nicht schon wieder so ein Blog von einem der für paar Monate in die Welt zog und meint seine Erlebnisse und Gedanken der ganzen Welt offenbaren zu müssen. Ich klick mal schnell weiter.“ : Richtig!!  Ihr zögert? Ah, ihr denkt, vielleicht wird es doch interessant. Vielleicht klingt es musikalischer als seinerzeit bei den berühmten „New kids on the blog“ oder der „Jenny from the blog“. Vielleicht erzeugt er doch aussagekräftigere Bilder als die anticineastischen, allsonntäglichen Blogbuster.  Tja, eben, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wäre es ja doch besser gewesen weiterzuklicken. Man weiß es nicht.
Denjenigen die bewusst hier sind muss ich sagen: ich bin kein Fan von Kameras und hatte entsprechend noch nie eine, also wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein photofreier Blog. Sollten aber z.B. bestimmte Gebäude, Berge, Buchten etc. so überwältigend sein dass, es selbst mit der blühendsten Phantasie nicht gelingt sie sich genau vorzustellen, so werde ich natürlich Links einbinden unter denen sich dann die weltschönsten Photos verbergen, von Profis gemacht, besser als ich es je hinbekommen würde. Bloß halt ohne mich im Vordergrund. Drum sind sie ja auch die Weltschönsten. Und sollten so herausragende Ereignisse eintreten wie z.B. das (Br)Angelina, auf der Suche nach einem Adoptivkind aus einer Nation die ihr noch fehlt, aus Versehen mich derwischt, was die Bedingung ja erstmal erfüllen würde, ja dann wird sich sicherlich auch eine Kamera in der Nähe finden. Oder ihr schaut es euch einfach in der Bildzeitung an. Im übrigen: Angelina, wenn ich Glück habe; wenn ich Pech habe ist es Madonna.
Allen kann ich aber versichern dass, die hier beschriebenen Ereignisse sich genau so zugetragen haben. Sollte ich doch mal minimalstisch-ästhetische Eingriffe vornehmen (müssen), so nur weil das Schicksal, die Wahrscheinlichkeit und Gott persönlich gewollt hätten dass, es so passiert wie hier beschrieben und nicht so wie es letztendlich geschehen ist. Und nicht etwa um etwas zu vertuschen oder zu verdrehen. Und erst recht nicht aus bukowskiesk-millerschen Entschärfungsgründen. Ok, bevor einige den letzten Satz falsch interpretieren und ich dadurch ein Teil der Leserschaft verliere: selbstverständlich werde ich an entsprechenden Stellen auf die chilenische Damenwelt näher eingehen. Und anschließend hier darüber berichten.
In diesem Sinne, wünsche ich euch und mir eine gute Reise.