Donnerstag, 6. November 2014

Fundación

Was meinen, werter Leser? Ob es denn nicht mein Ziel war in den ersten vier Wochen ein Volontariat zu machen? Doch, doch, mein Herr. Warum ich denn dann über den Flug, das Wetter und Kirchen schwafele und die eigentliche Aktivität der ersten Hälfte der Reise verschweige? Na, na, mein Herr, wer wird denn so ungeduldig sein und dann auch noch so harsche Worte wie verschweigen benutzen! Wollet ihr mir den vorwerfen dass ich den ganzen lieben Tag lang in Museen und Bars rumhänge und womöglich gar keinen karitativen Tätigkeiten nachkomme? Nein mein Herr, ihre Antwort werde ich jetzt nicht aufschreiben; solch Worte kommen mir weder über die Lippen, noch werden sie durch meine Finger in den Äther fliesen. Jedoch bin ich bereit ihrem Anliegen Genugtuung zu verschaffen.

Keuchend, ächzend und dunkle Abgaswolken ausstoßend quäult sich der vollgestopfte Bus im ersten Gang und Schritttempo den mehr als steilen Hang hoch, an dem sich im Norden von Quito das Viertel Santa Maria befindet. Also Schrittttempo von Menschen in der Ebene. Hier bewegen sich die Menschen nur infinitdesimal nach vorne, weswegen auch viele bereit sind die 25 Cent zu bezahlen, selbst wenn sie nur bis zur nächsten Haltestelle mitfahren. Die paar die doch laufen, atmen schwer durch den Mund; genau wie der Bus, der vorne die Schnautze zum Motorraum hin offen hat. Obwohl der Fahrer diese Strecke bestimmt schon tausende mal gefahren ist, versucht er manchmal in einem Gefühl von Idealismus oder Selbstüberschätzung in den zweiten Gang zu schalten. Sobald er die Kupplung tritt, bleibt der Bus schlagartig stehen und schon ist nur noch die vordere Hälfte vollgestopft(er). Tritt er nun das Gaspedal, ist wie durch Zauberhand die hintere Hälfte überbevölkert. Selbstverständlich schafft der Bus diese Steigung nicht und das ganze Prozedere wiederholt sich beim zurückschalten in den ersten Gang.

Ist ja gut, mein Herr! Ich verliere mich nicht weiter in die Beschreibung der Anfahrt, sondern komme auf die Fundación zu sprechen.

Nahe der Endhaltestelle, inmitten von grauen, meist unverputzten, wild in die Gegend gebauten, aber nicht immer fertiggestellten Häusern, befindet sich wie ein bunter Klecks die Fundación Para Dar Esperanza, deren Mauer und Fassade als überdimensionales, fröhliches Gemälde gestatlet ist.

Noch vertreiben sich die bis zu 70 Kinder, die kleinsten sind erst 3, die Zeit mit Spielen, Fussball oder den umherstreunenden, zahmen Hunden. Letztere, von denen es fast genau so viele gibt wie Kinder, machen echt was mit in der oft vergeblichen Hoffnung etwas zu futtern abzubekommen. Ein Junge dreht sich schnell um die eigene Achse, den Schulranzen weit weg gestreckt und erwischt einen voll an der Schnautze. Ein Anderer versucht sich als Reiter auf einem der Viecher, was dieser nicht aushält und zusammenbricht. Und doch ist kein Jaulen oder gar Bissversuch zu vernehmen.

Als sie mich entdecken kommen einige auf mich zugerannt. Die Kleinen wollen umarmt werden, die etwas größeren Mädchen begrüßen mich, wie in Südamerika üblich, mit einem Küsschen auf die Wange und die größten, um die Vierzehn sind schon cool, d.h. die Jungs tauschen mit mir eine Reihe von Handschlägen aus, wärend die Mädchen es vorziehen damenhaft aus der Ferne zu winken. Ich gehe rein und da fällt die Begrüßung mit den vier Mitgliedern des Lehrkörpers (Lili, Sole, Anita, Ricki) und Pati, der guten Seele der Küche, genau so herzlich aus.

Dann geht es auch schon los. Sobald das Tor geöffnet wird, ströhmen die Kinder in den Hof. Manche der Hunde quetschen sich auch zwischen den vielen Beinen durch, werden freundlich aber bestimmt gleich wieder rauskomplementiert. Bevor es in die vier Räume geht, wird erstmal Hände gewaschen. Die ganz Kleinen, noch im Kindergarten oder der Vorschule, haben ihr eigenes Reich in einem Gebäude auf der anderen Seite des Hofes. Die Anderen teilen sich in drei weitere Gruppen ein, mal nach Altersklassen, mal nach "keine Hausaufgaben", "Mathe-Hausaufgaben" und "sonstige Hausaufgaben (Englisch, Sozialkunge, Geschichte etc.)". Gibt es mal keine Hausaufgaben in Englisch, was so etwas wie meine Exklusivdomäne ist, dann springe ich da ein wo Not am Mann herrscht. Das Üben und Wiederholen wird immer wieder praktiziert: das Alphabet, das Ein-mal-Eins, Verben, Vokabeln und dabei lerne ich auch einige neue spanische Worte - während der leckere Duft der aus der Küche durch die Räume wabert immer intensiver wird. Aber natürlich geht es nicht immer soooo ernst zur Sache. Die Kleineren wollen schon mal auf den Arm genommen werden, andere Durchgekitzelt oder durch die Luft gewirbelt werden. Und immer wieder muss ich den Trick mit den beiden Münzen vorführen, bei der die Eine aus einer Hand durch die Tischplatte in die andere Hand wandert. Die Größeren ziehen es vor, falls sie mal schneller fertig sind, gegen den Ball zu kicken. Nicht nur ich versuche mehr über die Kinder und Jugendliche zu erfahen, sondern auch ich beantworte immer wieder Fragen (aus welcher Stadt kommst du, hast du eine Freundin, gibt es Schnee in Deutschland etc).

Nach gut eineinhalb Stunden gibt es Essen und jedes der Kinder nimmt ein dampfendes Schüsselchen und einen Löffel in Empfang. Viele von ihnen haben Probleme in der Familie und das Geld ist sowieso knapp. So ist dies für Einige die einzige Möglichkeit was Warmes zu sich zu nehmen; und auch die einzige Möglichkeit bei schulischen Fragen Unterstützung zu erfahren - bei dem ein oder anderen Zuwendung überhaupt.

Nach dem Essen muss jeder sein Schüsselchen und den Löffel selbst spülen und dann heißt es Zähne schrubben. Wer mit den Hausaufgaben fertig ist darf nach Hause gehen. Meistens bleiben noch ca. eine Handvoll, entweder weil der Lehrer mal wieder recht großzügig war bei der Verteilung der deberes oder weil diese vermaledeite Division schon verwirrend sein kann.

Anschließend ist für den Lehrkörper oft noch nicht Feierabend. Es gilt Hausbesuche zu machen oder "außerschulische" Aktivitäten vorzubereiten.

Zum Beispiel das Verpacken von Geschenken, denn jeden letzen Donnerstag im Monat fällt die Zeit für Hausaufgaben etwas kürzer aus, dafür stehen dann die Geburtstagskinder im Mittelpunkt. So landen in einfachen Tüten Hefte, Stifte, aber auch Süßigkeiten und Spielsachen die aus Spenden stammen und zum Teil bei weitem nicht mehr ganz taufrisch sind. Erst wird gespielt und gesungen, dann werden die diejenigen aufgerufen die ein Jahr älter geworden sind und selbstverständlich bekommen sie ihr Geburtstagsständchen. Kuchen und Süßspeisen gibt es dann für alle.

Is(s)t man Ende Oktober/Anfang November in Ecuador, so kommt man um Colada Morada nicht drumrum. In jedem Haushalt wird sie zubereitet, jede Bäckerei, Konditorei oder Restaurant bietet sie feil. Man hat den Eindruck dass die ganze Stadt danach duftet. Da sich viele Familien der Kinder diese Speiße nicht leisten können, haben wir sie an einem Samstag in der Fundación zubereitet.

Was Colada Morada ist, mein Herr? Nun dazu müsst Ihr euch noch etwas gedulden, den so einem wichtigen, über einen geraumen Zeitraum alles beherrschenden Thema widme ich selbstverständlich einen eigenen Post.

Nach Feierabend fahre ich mit dem Bus mit Lili, Sole und Anita wieder den steilen Hang runter. Ricki zischt auf seinem Motorad an uns vorbei. Es wird viel geredet und man neckt sich gegenseitig. Mein Blick nimmt die tolle Aussicht von hier oben war und schweift über das beleuchtete Straßennetz von Quito, während in mir bereits jetzt ein Gefühl des Bedauerns aufsteigt, dass ich in paar Tagen weiterziehen muss, trotz der imensen Vorfreude das restliche Land kennenzulernen.



Anm.d.Red.: man verzeihe dem unbedachten Schreiberling dass, er nicht das Emma- bzw. Gewerkschafts-korrechte LeserIn oder gar meinE Dame/Herr zu Papier gebracht hat.

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