Dienstag, 29. März 2011

Herbst

Der Herbst ist da. Und dafür gibt es gleich mehrere untrügliche Zeichen. Da wären zum einen die Temperaturen; der Himmel ist zwar nach wie vor blau und wolkenfrei und tagsüber rennen auch noch alle in kurzen Hosen und T-Shirt rum. Aber so bald es dunkel wird, kommt man um eine lange Hose nicht mehr drumrum und wenn mal halb Zehn durch ist hofft man sein Pulli oder Sweatshirt nicht zu Hause vergessen zu haben.
Und die Sommerferien sind vorbei. Selbst die Pokemons mussten, wahrscheinlich nur wiederwillig, ihre Phantasiekluft gegen die Schuluniform tauschen. Und die gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen, je nach Institution. Bei den Mädchen ist es auf jeden Fall ein Rock (Karomuster scheinen es den Direktoren schwer angetan zu haben) oder ein unifarbenes Kleid Pflicht. Schuhe und Kniestrümpfe sind auch einheitlich. Obenrum gehen die Variationen vom schlichten Polohemd bis hin zu weißem Hemd oder weißem Hemd mit Krawatte. Ähnlich verhält es sich bei den Jungs, ersetzt man das Kleid mit einem Anzug oder den Rock mit einer Stoffhose. Selbstverständlich ist an jeder geeigneten Stellen das Schulemblem eingestickt.
Das krasseste Indiz, optisch wie olfactorisch, dass auch die Unis ihren Betrieb aufgenommen haben, stellen die Erstsemestler dar. Es ist wohl Tradition dass in der ersten Woche diese armen Schweine von den Älteren von oben bis unten mit Farbe beschmiert werden, in die man Fischöl oder irgend was anderes, bestialisch stinkendes gemischt hat, sollte dies nicht ausreichen hängt man ihnen auch noch einen Fischkopf um den Hals und man entledigt sie ihrer Schuhe. Und so stehen die in der Mittagssonne vor sich hindünstenden Kamaraden barfuß an den Strassenecken und flehen die Passanten nach einer Münze an, das sog. Schuhgeld. Nun gut, ich geh mal davon aus dass diese Tradition hinlänglich bekannt ist und so werden die Studenten nicht gerade ihre besten Klamotten anziehen und auch nur die Schuhe die sie schon immer mal loswerden wollten, so daß das eingesackte Geld nicht wirklich nur dem Erwerb neuer Schuhe dient, sondern auch in eine krachende Erstsemesterparty investiert wird.
Mit dem Herbst kam auch Obama. Und mit ihm ein mächtiges Verkehrschaos. Zwei Tage lang wurden die Nerven der Autofahrer und die Hupen ihrer Fahrzeuge arg strapaziert, den man hielt über Stunden hinweg Hauptverkehrswege für die präsidiale Kolonne frei. Aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich nicht nur eine Route. Der Höhepunkt der Lärmbelestigung wurde am Montag Abend erreicht. Es begann mit vereinzeltem Hupen, so nach dem Motto "ich drück mal drauf, vielleicht erreich ich ja was" und steigerte sich nach einer halben Stunde in ein ohrenbetäubendes Dauergehupe aus allen Querstraßen ("ich weis dass ich damit nichts erreiche, aber für den Bruchteil einer Sekunde verschafft es Linderung"). Verstärkt wurde das Ganze von einigen Krankenwägen, die natürlich auch nicht durch die verstopften Gassen weitergekommen sind. Es war so höllisch laut, das man keinen klaren Gedanken fassen konnte, also blieb uns nichts anderes übrig als auf die Terrasse rauszugehen und das Spektakel von oben zu betrachten. Als dann nach einer weiteren viertel Stunde ein Hubschrauber über der gesperrten Strecke auftauchte und die Carabineri auch keine Fußgänger passieren ließen, war klar dass es jetzt langsam los geht. Erst rauschten vereinzelte Polizeimotoräder durch, dann kamen Polizeiautos und dann kam erst mal lange nichts. Dann erst sauste der gesamte Tross aus den beiden Präsidialautos und einer unendlichen Reihe von Fahrzeugen mit Sicherheitskräften durch. Und da sich das Ganze so lange hinzog, hatte sich bei den Fußgängern auch schon ordentlich Frust angesammelt, dem sie dann mit gellenden Pfiffen in Richtung der vorbeifahrenden Autos Luft machten. Das Ganze hatte was von Formel 1 mit nur einer Runde: es ist laut, man sitzt ewig und wartet und dann ist das ganze RuckZuck vorbei. Mit dem Lärm wars leider dann doch nicht so schnell vorbei, denn bis sich der Megastau aufgelöst hatte, mussten noch einige Hupen sich die Seele aus dem Leib tröten.

Donnerstag, 24. März 2011

Valparaiso


Nun ist es also soweit. Meine erste Fahrt an den Ozean. Als ich am Freitag gegen halb acht am Busbahnhof ankomme, beglückwünsche ich mich dass ich mir die Tickets zwei Tage davor besorgt habe, denn es herrscht ein Megagedränge und vor jedem der zahlreichen Schalter ewig lange Schlangen. Und dies obwohl allein nach Valparaiso von 'meiner' Busgesellschaft alle 10 min. (!!) ein Gefährt die gut 150 km angeht und es gibt noch mindestens fünf Wettbewerber - dabei handelt es sich um den kleinsten der Terminals der Hauptstadt. Die Busse sind alles Fahrzeuge der neuesten Generation, die beiden Fahrer tragen weise Hemden und Krawatte, das Gepäck tauscht man beim Beifahrer gegen ein Zettel ein und drin ist alles blitzblank sauber, als würde er gerade aus dem Werk kommen; und dies allem bei einem unschlagbaren Preis von nicht mal 10 Euro für Hin- und Rückfahrt. Wir begeben uns auch sofort auf die Autobahn und nach gut einer viertel Stunde passieren wir die etwas höhere Hügelkette die die Valle Central beschützt und fahren durch die ins sanfte Abendlicht getauchte Valle Casablanca und ihre Weisweinrebenreihen. Valparaiso erreichen wir bei Dunkelheit. Während ich mir mein Rucksack schnappe, verstreut sich die Schar der Mitfahrer schnell und ich mache mich auf Richtung Hostal. Obwohl es früher Abend ist, latsche ich durch eine menschenleere Hauptstrasse, zwischen geschlossenen Geschäfte und Restaurants und sehe höchstens mal ein Polizei- oder Militärfahrzeug. Das einzige was zu der gespenstischen Szenerie noch gefehlt hat, wäre etwas aufgewehter Staub und so ein runder, vertrockneter Strauch der quer über die Strasse rollt, wie man ihn in jedem Western mindestens drei mal zu sehen bekommt. Dann dämmert es mir: Tsunamialarm. Valpo besteht zu 5% aus einem schmalen Küstenstreifen und der Rest liegt verstreut auf den 42 sich dahinter recht steil erhebenden Hügel. Dieser am Wasser liegende Teil wurde komplett evakuiert, auch die paar Hotels die da liegen. Na wie gut das mein Hostal den Hügel Bellavista hoch liegt. Auch an dessen Aufgangsstrasse stehen die Carabineri und Armee und lassen Auto und Mensch hoch, aber nicht wieder runter. Da ich tagsüber so gut wie nichts gegessen hatte, bin ich natürlich mit einem ordentlichen Hunger und Durst angekommen, also erkundige ich mich bei der netten Hostalbetreiberin wo ich noch was bekommen könnte. Sie bestätigt mir dass unten alles geschlossen sei und empfiehlt mir ein weiter oben liegendes Restaurant, das eine unglaubliche Sicht über die Bucht haben soll. Versuche eine Volontärin anzurufen, die bereits nachmittags einen geschäftlichen Termin hier hatte und mit der ich mich eigentlich zum Abendessen treffen wollte. Als ich sie nicht erreiche, gehe ich davon aus dass sie gar nicht erst nach Valpo gekommen ist wegen dem Alarm; klar, denn sie ist einen Kopf kleiner als ich, also hätte das Wasser sie zu erst erwischt. Also mache ich mich allein an den immer steiler werdenden Aufstieg, vorbei an weiteren Uniformierten und erreiche kräftig atmend den Platz auf dem sich die Statuen der Nobelpreisträger Neruda und Mistral befinden und auch noch weiterer nicht prämierter Kunstschaffenden. Drehe eine Ehrenrunde und gehe dann in das empfohlene Restaurant. Bekomme eine Tisch an der Ausenkante der Terrasse zugewiesen, auf der mich nur eine mannshohe Panzerglasscheibe vom Abgrund trennt und sich mir ein umwerfender Blick über ganz Valpo und die dazugehörende Meeresbucht bietet. Durch das Schienennetz der Strassenbeleuchtungslaternen bewegen sich die Behördenautos mit ihren blinkenden Blaulichter wie die Dinger in PacMan. Obwohl es ein recht feiner Laden ist (und wahrscheinlich auch nur weil nicht besonders viel los ist), erlauben sich drei der Kellner immer mal wieder den Spaß sich in Reihe aufzustellen und mit Blick aufs Meer zu rufen: "Viene la óla!" um dabei auch die entsprechenden Handbewegungen zu machen. Hier nimmt keiner die Tsunamiwarnung ernst. Alle Experten waren sich einig dass falls überhaupt was ankommt, dann wird es eine 5 cm hohe Welle sein, die zwar mehr Wassermenge mitbringt als üblich, aber völlig kraftlos sein wird. Was die Behörden treiben, ist rein um zu zeigen dass sie was tun und wegen dem schlechten Gewissen vom letzten Jahr, als nach dem heftigen Erdbeben im Februar in Concepcion die Armee die Leute die dabei waren in die Berge zu flüchten zurückgepfiffen hat, nach dem Motto, es gibt kein Tsunami, mit der Konsequenz dass anschließend durch die Wassermassen weit mehr Menschen gestorben sind als durch das Erdbeben selber. Bloß ein einziges mal wird es still im Restaurant und Gäste und Personal starren gemeinsam aufs Wasser was sich tut: als das in der Mitte der Bucht thronende Kriegsschiff unter anhaltendem Horngetute seine lässige Position von längs zu den Wellen in quer zu den Wellen ändert und auch ein paar Fähren einige Meter rausfahren. Hatte aber offensichtlich keine weitere Bedeutung und alle gingen wieder ihren Beschäftigungen nach: die Gäste kauten, tranken, schmatzten und schwatzten und die Kellner bedienten, machten Späßchen und schwatzten mit.
Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne und der ganze Tsunamispuk war vorbei. Bei Tageslicht konnte ich erst das Hostal erst so richtig bewundern. Der Name deutet das Aussehen an: Art Hostal Bellavista. Jeder der Treppen die hoch zum Eingang führen sind einzeln bemalt und seitlich davon bilden kleine Mosaiksteinchen meterlange Fabelwesen. Drinnen ist jedes der Zimmer einem anderen Künstler gewidmet und entsprechend angemalt. OK, für meinen Geschmack wurden fast ein bisschen zu grelle Farben ausgesucht und an der ein oder anderen Stelle könnte der Anstrich auch erneuert werden, aber die vier Meter hohen Zimmer, der Aufenthaltsraum in dessen Mitte sich eine riesige Ledercouchgarnitur  befindet und den Wänden an denen eine beachtliche Sammlung von Gegenstäden aus längst vergangener Zeit hängen, das ausgiebigen Frühstück und die humanen Preise gleichen dies alles mehr als aus. Frisch gestärkt mache ich mich an den Anstieg den ich ja schon vom Abend davor kenne, lasse den Platz mit den Statuen links liegen und erreiche so Nerudas Haus, denn natürlich hat sich der Meister den höchsten Punkt des Hügels Bellavista für sein Domizil ausgesucht. Die 4 Stockwerke hohe La Sebastiana liegt in einem nicht mal so kleinen, stufenweise angelegten Garten in dem Rosen blühen und diverse Bänke stehen, die aus einem Wettbewerb mit Bezug auf den Schriftsteller stammen. Der Vorteil hier ist dass man im Gegensatz zu Santiago, wo man in einem recht hohen Tempo im Ramen der Tour vorangetrieben wurde, allein rumrennt, sich somit so viel Zeit nehmen kann wie man möchte und doch alle Infos durch einen von netten Damen ausgehändigten Infophone mitbekommt. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Arbeitszimmer liegen übereinander und geben alle einen weitschweifenden Blick über die Stadt und das Wasser frei. Direkt neben dem Wohnzimmer darf auch hier nicht die obligatorische Bar fehlen, hinter der Neruda seine Gäste bewirtete und auch einen eigenen Cocktail kreierte: Champagner, Brandy, Cointreau und Orangensaft. Selbstverständlich sind in jedem Zimmer Erinnerungsstücke von seinen vielen Reisen zu finden oder von persönlichen Freunden. Nimmt man Nerudas Haus in La Isla Negra noch dazu, das nicht kleiner oder gar bescheidener sein soll und bedenkt man dass er noch ein Viertes bauen wollte, wozu es nicht mehr kam, dann wird einem klar dass auch er etwas gleicher war als die Gleichen und wohl nicht so ganz das gelebt hat was er in den 40ern als Mitglied der Kommunistischen Partei und später als Sozialist und Anhänger Allendes predigte.
Die Sonne brutzelt herrlich aufs Fell, also beschliese ich einen Großteils des Tages im Freihen zu verbringen, die unterschiedlichsten Hügel auf- und abzusteigen um so die Stadt zu erkunden und die Aussage aus Lonely Planet zu überprüfen die besagt: "Die UNESCO hat es bestätigt: Ganz Valparaiso ist eine Sehenswürdigkeit.". Und tatsächlich: was aus der Perspektive des nerudaschen Wohnzimmers wie ein Meer aus Farbkleksen von bunten Häusern ausgeschaut hat, stellt sich aus der Nähe als eine Sammlung von einzelnen Kunstwerken heraus. Die Mehrheit der Gebäude sind in ihrer Ganzheit mit Bildern bemalt oder besprüht. Manche mit realistischen Darstellungen, andere phantasievoll. Manche gelungen, andere weniger. Dazwischen immer wieder prachtvolle Kolonialvillen und Parks. Und an jeder Ecke ist entweder ein Schnapsladen oder ein Atelier das auch Kurse anpreist. An der ein oder anderen Stelle zeigt Valpo ihre morbide Seite: einst schöne Gebäude die einfach dem Verfall überlassen werden; und auch ihre unschöne Seite: unbebaute Hügelteile die richtig zugemüllt sind. Es sei erwähnt dass ich die ganzen Strecken bergauf/bergab immer zu Fuß zurückgelegt habe und kein einziges mal mit Hilfe eines der zahlreichen alterwürdigen, scheppernder, quitschenden Ascensores geschummelt habe - nicht dass ich kein Vertrauen in die Ingenieurskunst von vor 150 Jahren hätte. Entsprechend wird es auch Zeit den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, bevor ich einen der höchsten Hügel der Stadt in Angriff nehme. Dazu wähle ich das Cinzano aus, ein Traditionsladen der Stadt. Abends singen hier schon lang erloschene Stars und aus deren Glanzzeit, nein, aus der ihrer Eltern oder Großeltern, stammt auch das ganze Inventar, incl. der Barmännern. Am beeindruckendssten sind die Kühlschränke, wahre Monster der Kühltechnik. Sie scheinen elektrisch zu funktionieren, auch wenn ich den Eindruck habe hier wurden einst noch Eisblöcke händisch eingelegt. Kennt einer die Folge in der Al Bundy während eines heißen Sommers, nach langem Flehen seiner Familie bereit ist eine Klimaanlage zu kaufen? Da er knausrig ist, kauft er natürlich was altes, dafür aber billiges. Beim Auspacken zu Hause stellen sie fest das auf dem Ding in Schrankformat seitlich "Besitz von Erwin Rommel" eingeprägt ist. Nun, diese Kühlschränke stammen wohl aus dem selben Nachlass.
Bereits in der Mitte des Cerro Carcel bin ich schon auser Puste und die Autos im ersten Gang auch. Der Hügel heist so, weil sich darauf der Knast von Valpo befand. Als diesr aufgegeben wurde, haben sich sofort Künstler das Gelände geschnappt und dort ilegale Ausstellungen, Happenings etc veranstaltet. Anscheinends wurden sie verscheucht, denn alles ist abgesperrt und drinnen sind irgend welche Renovierungsarbeiten im Gang. Ob diese dazu dienen sollen das Gefängniss wieder in Betrieb zu nehmen oder was anderes bezwecken ist nicht festzustellen. Also dann, weiter aufwärts zur höchsten Stelle, der Plaza Bismarck. Von hier hat man einen der schönsten Panoramablicke über die ganze Szenerie, wenn mir nicht immer wieder Schweisperlen die Sicht verderben würden. Halb verhungert erreiche ich wieder Meeresspiegelniveau und gehe schnurstraks in einen Laden der in dem bereits erwähnten Reiseführer mit den Worten "fehlende Finesse wird durch die Größe der leckeren Fleischportionen ausgeglichen" beschrieben wird. Die Aussage stimmt nur zur Hälfte: das Stück aus dem toten Getier ist groß und fein und ich fühle mich auch gut bedient, ganz im Gegenteil, der aufmerksame Kellner hat mir auf Nachfrage nicht das Teuerste auf der Karte empfohlen, sondern dasjenige wo Preiß / Leistung stimmt.
Nach weiterem Rumlatschen durch die Strassen sind ich und meine Beine uns einig dass es für Heute gut is und nun etwas sitzen angesagt sei. Bevor es dazu kommt, werde ich an einen Tisch gewunken, von einem lustigen Gespann aus einem Holländer und einem Kanadier, die mich wohl Nachmittags im Cinzano gesehen haben. Sie hatten schon einige Bier und sind in richtiger Erzähllaune. Befreundet seit 18 Jahren, machen sie spätestens jeden zweiten Urlaub gemeinsam, ohne ihre Frauen. Ginge beim Kanadier auch nicht, denn er ist zum dritten mal geschieden. Der Holländer ist zum zweiten mal verheiratet, diesmal mit einer Amerikanerin. Der Kanadier scheint richtig Asche zu haben (Ich hatte Glück mit paar Geschäften), den er verbringt die Winter immer in Costa Rica. Da er europäischer Abstammung ist (Mutter Deutsche, Vater Tscheche) wechselt die Sprache in denen Themen wie Tsunami, Lybien, Frauen etc. beleuchtet werden regelmäsig zwischen Englisch, Spanisch und Deutsch. Zwischendurch wird auch noch ein Amerikaner an den Tisch rangeschrieen, den sie auch von irgendwo her kennen und der aussieht als könnte er Wyatt Erp spielen; tatsächlich war er auch 15 Jahre lang bei der Polizei. Die beiden verabschieden sich schwankend, aber nicht bevor sie dem blinden Straßenmusikanten, der mit Gitare und Mundharmonika dem Blues frönt, einen Stapel seiner selbsgebrannten CDs abkaufen und diese an mich und weitere Gäste großzügig verteilen.
Den Sonntag will ich dem unteren Teil der Stadt widmen, dem der am Wasser liegt. Als erstes finde ich mich auf der Plaza Sotomayor wieder, wo noch mal deutlich wird dass Valparaiso der Hauptsitz der chilenischen Marine ist: das größte und eindrucksvollste Gebäude ist das des Marinekommandos und in der Mitte des Platzes tront ein überdimensionales Denkmal der gefallenen Marinesoldaten; lebendige Exemplare davon flankieren es zu allen Seiten und trotzen stoisch der aufgekommenen Hitze. Von der sich lang hinziehenden Bucht bin ich enttäuscht, den wie ich finde hat es hier die Stadtverwaltung verpasst mehr daraus zu machen. Das Einzige was man sieht, ist ein vierspurige Schnellstrasse. Keine Bars, Clubs, Restaurants oder auch nur einfache Strandbuden von denen aus man mit einem kühlen Getränk in der Hand aufs Wasser starren kann. Bevor ich also noch mehr Abgase statt frischer Meeresluft einatmen muss, drehe ich dem Wasser den Rücken zu und besteige doch noch einen Hügel, mit dem Ziel den Palacio Baburizza zu besichtigen, in dem sich das Museo de Bellas Artes befindet. Allein das Gebäude hat den Aufstieg gelont (erwürdige Parkettböden, Bleiglasfenster, Stuck und in jedem Raum ein Kamin); die Sammlung ist als eher bescheiden zu bezeichnen. Da es schon später Nachmittag ist, geht es wieder den Hügel runter und in eines der im Reiseführer empfohlenen Meeresgetierrestaurants. Es ist gut was los, den Sonntags gehen ganze chilenische Familien gern und ausgiebig essen, aber ich ergattere noch ein Plätzchen. Die Bedienung legt mir den Meeresfrüchteteller ans Herzen und ich vertraue ihr. Ich werde nicht enttäuscht: was auf meinem Tisch landet ist etwas in Größe eines Pizzatellers und aus der Ferne sieht es auch so aus als würden darauf Pizzaecken liegen. Blos dass hier der "Teig" von grünem Salat gebildet wird und die Dreiecke die sonst aus Soße, Belag und Käse bestehen unterschiedlichste frische Meeresfrüchte sind. Das Ganze mit einem leichten Sauvignon Blanc runtergespühlt und es stellt sich ein zufriedenes Grinsen ein. Auf dem Platz vor dem Restaurant lasse ich mir für eine Viertelstunde noch die Sonnenstrahlen auf den verdauenden Ranzen scheinen und dann bin ich bereit im Hostal mein Rucksack abzuholen, zum Busbahnhof zu gehen und die Fahrt nach Santiago anzutreten. Dort angekommen erfahre ich dass wir am Montag eine neue Mitbewohnerin haben: eine brasilianische Stewardess.

Donnerstag, 3. März 2011

Santiaguinische Fortbewegungsmittel

Ich erzähl euch heute mal ein bisschen wie man hier von A nach B gelangen kann, wenn man mal keine Lust hat zu laufen. Vorab: sollte mich in Santiago ein gewaltsamer Tod ereilen, lasst nach dem Busfahrer fanden.
Wir brettern mit gut 80 durch paar Außenbezirke von Santiago. Hier sind die Busse nicht so modern wie die monströsen, ewig langen Dinger im Centrum, bei denen man den Eindruck hat bei einen Pull Truck Rennen zu sein wenn sie die Haltestelle verlassen. Nein, hier sind es Klapperkisten in denen alles vibriert und scheppert. Da es mächtig heiß ist, genügt die Kühlung (?) durch alle zur Seite geschobenen Fenster nicht, sondern wir heizen mit offenen Türen durch die Gegend. Auf selbigen kleben große Plakate mit der Aufschrift: "Zu Ihrer eigenen Sicherheit kann dieses Fahrzeug erst bei geschlossenen Türen losfahren!". Er muss aber auch so schnell fahren, schließlich kommt sein Kollege mit einem Zwillingsgefährt von hinten angeschossen und setzt auch schon auf der zweispurigen Straße zum überholen an. Na dann setze ich mal lieber zu einem Gebet an, während sich meine Hände an der Haltestange unbewusst noch ein bisschen fester krallen (ob die Finger überhaupt noch durchblutet werden?), denn wie aus dem Nichts kommt uns hinter der nächsten Kuppe ein Auto entgegen.
Die Busfahrer sind auch die Einzigen die die Ampeln so mehr als Lichtorgel zur Begleitung ihrer laut aufgedrehten Radios interpretieren. Da haben die Fußgänger schon längst Grün, da schießen noch mindestens drei Busse durch und sie haben immer noch Grüß, da fahren die Kamaraden schon längst los. Die PKW-Fahrer hingegen sind völlig südamerika-untypisch. Sie halten sich strengstens an die Ampelfarben; und jetzt kommts: sie halten an Zebrastreifen an!!! Beim ersten Mal hab ich mir gedacht der will mich verarschen und hab mich nicht getraut die Strasse vor seiner Nase zu überqueren. Also wenn ich da so an Mexico denke.... Ich glaube im Mexicanischen gibt es das Wort Zebrastreifen nicht (noch nicht mal für die armen namensgebenden Tiere) und die Ampeln sind nur Zierde oder haben bestenfalls Empfehlungswert. Hier hingegen sind sogar die Taxifahrer human und halten sich an die Verkehrsregeln. Die Taxen sind schwarz und haben ein gelbes Dach. Innen scheinen aber die Leut Gestaltungsfreiheit zu haben. Eines Tages haben wir eines angehalten um zu dem Steak-Laden der Stadt zu fahren, zum "Vacas Gordas" (Die dicken Kühe). Nur schwer konnten wir unser Gekicher unterdrücken, den der Kollege hatte den gesamten Innenraum, also insbesondere auch die Seitenwände und die Decke, im Kuhmuster designt. Gleiches hat das Restaurant mit der nicht gerade kurzen Außenwand und dem dazugehörenden Bürgersteig gemacht.

An diesem Sonntag habe ich das genießen der letzten Sonnenstrahlen etwas vorverlegt, um das Genießen der allerletzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse vorzunehmen. Schließlich muss ich mich ein bisschen ausruhen, den eine Freundin des Wohnungsbesitzers, eine Künstlerin aus New York, hat sich auf der Durchreise zu dem nächsten Ziel der Jagd nach Photos für ihre anstehende Ausstellung in der MoMa angekündigt und Nel will sie mir unbedingt vorstellen, um danach gemeinsam zum Abendessen zu gehen. Also richte ich den Liegestuhl schön Richtung Ost-West aus, fahre das Netbook hoch, stöpsle die Kopfhörer ein und öffne YouTube. Das Violinkonzert von Brahms scheint mir die adäquate Begleitmusik zu sein und ich entscheide mich für die Interpretation von Isaac Stern. Bevor ich meinen Astralkörper (wie astral, fragt ihr? die Sonne wiegt ja auch nicht gerade wenig!) auf das gekrümmte Mobiliar und meinen Kopf auf die dem Holzinstrument sanft entlockten Noten bette, will ich aber noch das Bad aufsuchen. Der ersten Schritt in die erleichternde Richtung ist noch nicht getätigt, da hör ich einen dumpfen, lauten Knall und einige Schreie. Das Lesen folgender Zeilen dauert länger als die Geschehnisse die ich beobachtet habe: ich beuge mich also über die Brüstung und sehe einen der Innenstadtbuse mit eingeschalteter Warnblinkanlage; dann sehe ich eine rumliegende Autotür und den dazugehörenden Renault ein paar Meter weiter, mit der linken Seite völlig zerbeult, das Heck, mit dem es gegen ein Werbeplakat gekracht ist, eingedrückt und die Rückbank und die Beifahrerseite in meterhohen Flammen. Der Fahrer sitzt zusammengesackt, ohnmächtig auf seinem Sitz. Zwei Passanten spurten hin. Die Tür klemmt. Sie ziehen ihn im letzten Moment durchs Fenster raus, dann steht auch schon das ganze Auto in Flammen. Zwei weitere sind mit Feuerlöscher da, wahrscheinlich aus dem Bus oder anderen Autos und halten voll drauf. Man hört auch schon die Sirenen der Feuerwehr, da scheint also ne Feuerwache in der Nähe zu sein. Sie setzen das Auto, oder das was davon übrig geblieben ist, (denn es ist völlig ausgebrannt, alle Scheiben sind geborsten etc) mächtig unter Wasser, um die letzten Kokelnester zu löschen und wahrscheinlich um zu kühlen, damit sich das noch vorhandene Benzin nicht an heißen Teilen entzünden kann. Der Mann bewegt sich wieder, man deutet ihm aber an liegen zu bleiben, bis der Krankenwagen da ist. Schneller als dieser ist nur ein Lokalreporter mit seinem Kameramann.

Die U-Bahn ist immer noch das beste, schnellste und günstigste Fortbewegungsmittel der Stadt. Und wohl auch das modernste. Der Zugang erfolgt elektronisch, mit der sog. Tarjeta Bip!. Die Tarjeta Bip! heißt Tarjeta Bip! weil wenn man die Tarjeta Bip! an die für die Tarjeta Bip! vorgesehen Stelle am Drehkreuz hält, dann ertönt, ihr werde es nicht erraten, ein Bip!. Ertönt hingegen statt dem zarten Bip! ein nervöses Bip!Bip!Bip!, dann weiss man es ist mal wieder Zeit die netten Damen in ihren Glaskasten aufzusuchen und etwas Geld auf die Tarjeta Bip! zu laden. Den "Nein-ich-zahle-in-der-Kantine-nicht-mit-dem-Ausweiss-den-dann-weiss-ich-ja-nicht-wie-viel-die-mir-wirklich-abbuchen" sei gesagt dass jedes Drehkreuz natürlich eine digitale Anzeige hat, die gleichzeitig mit dem Bip! aufleuchtet und anzeigt wie viel auf der Karte noch drauf ist und wie viel abgebucht wurde (denn es gibt vier Tarifstufen, je nach Tageszeit). Die U-Bahnen fahren in einem super schnellen Takt, so dass man auch hier den Eindruck hat da will der eine den anderen überholen. Und doch herrschen zu den Stoßzeiten japanische Verhältnisse. Drum gibt es an den Umsteigebahnhöfen auch neongelb uniformierte Herrschaften, die irgendwann nicht mehr den Zugang erlauben und wie zu besten Wies'n-Zeiten dem Kutscher durch Handzeichen andeuten dass alles ok ist. Um der Sache etwas besser Herr zu werden und die Leut von den Haltestellen wegzubekommen, sind manche Haltestellen einer Linie Rot, andere Grün und manchen Grün/Rot. Während besagten Stoßzeiten haben die Züge seitlich Lichter an die entweder Grün oder Rot leuchten und dann wird auch nur an diesen Haltestellen angehalten. Verstärkt wird die Gedrängeproblematik dadurch dass man hier das System "erst aussteigen, dann einsteigen" noch nicht kapiert hat. Liegt aber auch daran dass manche Helden sich einfach in die Tür stellen (nicht etwa seitlich, nein, quer), auch wenn sie erst in einer halben Stunde aussteigen müssen und sich von da auch nicht wegbewegen, so dass man sie richtig zur Seite schubsen muss, wenn man aussteigen will, was sich beliebig schwierig gestalten kann, wenn die von drausen bereits reindrängen. Na ja, solche Szenen durfte ich nur während der Sprachschulzeit miterleben; jetzt fahre ich ja zwischen den Stoßzeiten zur Arbeit und erst spät Abends zurück. So kann ich auch in Ruhe das Fernsehprogramm der Verkehrsbetriebe auf einem der zahlreichen Flachbildschirmen die an jedem U-Bahn-Gleis hängen genießen. Eine gute Mischung aus Nachrichten, Sport, Musik und zum Glück nur wenig Werbung. Es kann einem aber auch aufs Gemüt hauen, wenn man am frühen Morgen (also gegen Eins), auf nüchternen Magen, einem schmachtenden, sülzenden Ricky Martin über sich ergehen lassen muss. Und wenn man Pech hat, kommt auch noch eine U-Bahn der neuesten Generation, die innen auch Flachbildschirme hat, so dass einem der Schmalz weiterhin auf die Schultern tropft. Hingegen kann einem eine Hüfteschwingende Shakira oder J'Lo durchaus den Start in den Tag versüssen. Das Geld was man in die ganze Unterhaltungstechnik investierte, hat man bei der Belüftung der Haltestellen und der Wagons gespart. Es herrscht eine bullen Hitze. In den großen Haltestellen versucht man es mit einem Herrschaar von Ventilatoren in den Griff zu bekommen, die zusätzlich einen feinen Wassernebel versprühen - klappt aber nicht. Während der Fahrt hat man das Glück dass sich die Fenster der Wagons öffnen lassen; das erhöht den Geräuschpegel erheblich und stört die Yuppies beim telefonieren, die da unten selbstverständlich auch ihr Handy am Ohr kleben haben, falls es nicht schon angewachsen ist.

Eine Fahrt mit einem der wichtigsten Verkehrsmittel in Chile hab ich leider noch nicht unternommen: es ist der Weinzug. Ein Sonderzug der hier in Santiago losfährt, eine Tagesreise unternimmt, an verschiedenen Weingütern anhält und schön brav auf die Besucher während der Besichtigung und der Weinprobe wartet. Hoffentlich kommt es noch dazu.